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Ute Lemper"Ich bin ein deutsches Fräuleinwunder"

geschrieben von Hansi Hoffmann im März 2014

Neue „Backstage-Erinnerungen“ von Hansi Hoffmann, PR-Manager zahlreicher Bühnenstars und Größen aus dem Musikbusiness

Die schwarze Hotellimousine vom „Ritz“ stoppte sanft in der Pariser Rue de Mogador vor dem hell angestrahlten „Theatre Mogador“. Die legendäre Spielstätte in dem prachtvollen Gebäude aus der Jahrhundert­wende hatte sich mit internationalen Musicals einen Namen gemacht. Jetzt prangten in den Schaukästen zwischen den drei breiten Eingängen die Vierfarbposter „Jerôme Savary présent Cabaret avec Ute Lemper“. Deutschlands erfolgreicher Konzertveranstalter und Impresario Marek Lieberberg hatte den CBS-Schallplatten­chef Jochen Leuschner und mich im November 1986 nach Paris eingeladen, um den deutschen Musical-Star als Sally Bowles in dem Broadway-Hit „Cabaret“ zu erleben. Vertraulich hatte mir mein Freund Lieberberg schon vor dem Abflug in Frankfurt gestanden, dass er „die Lemper“ hinreißend findet und er sie gerne als Entertainerin nach Deutschland locken wolle.

Das „Mogador“-Theater war wie seit Monaten auch an diesem Abend mit seinen 1.500 plüschigen Sitzen ausverkauft. Aus Reihe fünf, Parkett-Mitte, hatten wir den optimalen Blick auf die Bühne. Und dann stand sie da – die Sally Bowles alias Ute Lemper, die zweitklassige Sängerin aus dem Kit-Kat-Nightclub im Berlin des beginnenden Faschismus. Schlanke Beine fast bis in den Himmel, kurvenreiche Figur im hautengen Dress, ganz Femme fatal — und doch auch komisch, tragisch und ein bisschen naiv, parlierend in bestem Französisch, flirtend mit ihrem Partner, dem amerikanischen Schriftsteller Clifford Bradshaw, tänzelnd pure Erotik ausstrahlend. Dann sang diese Frau mit einer verruchten Stimme „Live is a Cabaret“, „May be this time“, „Money, Money“, „Mein Herr“ – Szenenapplaus, Bravorufe. Nach zwei Stunden anhaltende Standing Ovations.

Lieberberg hatte im „Restaurant Mogador“ – einige Häuser vom Theater entfernt – einen Tisch für zehn Personen reserviert und bat mich, schon mit seinen Gästen vorzugehen und den ausgewählten Wein auffahren zu lassen. Das Restaurant war der Treff der Theaterbesucher nach der Vorstellung und brechend voll. In der Mitte des Speisesaals stand der Lieberberg-­Tisch, bereits eingedeckt mit Baguette, Perrier und trockenem Chablis-Wein in Kühlkübeln. Der berühmte Modefotograf Helmut Newton und ­seine exzentrische Gattin June, eingeflogen aus Monaco, hatten bereits Platz genommen, ebenfalls zwei in Paris lebende Lieberberg-Verwandte. Gerade als die Etageren mit Seafood aufgetragen wurden, hörte ich ein immer lauter werdendes Klatschen und „Bravo“, „Super“ und „Grandios“-­Rufe der Gäste. Ute Lemper an der Seite von Marek Lieberberg war eingetroffen. Mit großem Hallo wurden am Tisch die Gäste dem Star vorgestellt. Die 23-jährige Ute ließ keinen der frischen Leckerbissen aus: Hummerscheren, Austern, Kaviar, Seeigel. Kauend, lachend, redend be­herrschte Ute Lemper die ganze Tischgesellschaft. In durcheinander gewürfeltem Deutsch, Englisch und Französisch berichtete sie von der „Cabaret“-Tournee mit 160 strapaziösen Vorstellungen in der französischen Provinz. „Aber ich liebe diese Sally Bowles, sie ist genau wie ich: leidenschaftlich, kraftvoll, erotisch, witzig, zart, trotzig und aggressiv. Mehr geht einfach nicht“.

Und dann stand sie da – die Sally Bowles alias Ute Lemper, die zweitklassige Sängerin aus dem Kit-Kat-Nightclub.

Frühjahr 1987. Um den großen Glastisch in der Konzertagentur Lieberberg in der Frankfurter Hansaallee saßen wir nun schon seit drei Stunden mit Ute Lemper zusammen – Marek Lieberberg, CBS-Schallplattenboss Jochen Leuschner und sein A&R-Mann Heinz Cannibol und ich. Ute hatte das Pariser Angebot von Savary abgelehnt, ein weiteres Jahr für die doppelte Gage im „Mogador“ zu spielen, eilends ihre Koffer gepackt und war nach Frankfurt umgezogen. „Ich brauche eine neue Herausforderung“, war ihre knappe Erklärung. Und um diese neue Herausforderung ging es bei dieser Konferenz.
Die Künstlerin hatte ganz konkrete Vorstellungen, um die Vielzahl ihre Talente als Sängerin, Schauspielerin und Entertainerin richtig einzusetzen und auch professionell zu präsentieren. Der Plan sah vor: eine Langspielplatte „Life is a Cabaret“, Auftritte in diversen Talkshows und in zwei großen Musiksendungen, einige Exklusiv-Interviews in Nr.1-Magazinen, dann eine eigene große Personality-TV-Show, anschließend eine Tournee. Lieberberg hatte als Utes neuer Manager einen genialen Karriereplan entwickelt und gleich die richtigen Fäden gezogen, bis hin zur Fernsehab­teilung des Hessischen Rundfunks. Mein Büro kümmerte sich um all die Presse- und Promotion-Aufgaben. Die Plattenaufnahmen wurden ein Meis­terstück, die Fotoshootings für das Plattencover und für die Presse absolvierte Ute mit Bravour, die ersten Interviews für „Stern“, „Spiegel“, „Bunte“ und für die Presseagentur dpa schufen den roten Teppich für die Plattenveröffentlichung.
Ein Tsunami von Interviewanfragen begann nach den ersten Live-Auftritten der Lemper. Sie hätte über einen Monat jeden Tag zehn Interviews absolvieren müssen. Ich fand eine Lösung: Wir lieferten fertige Interview-­Tonbänder in verschiedenen Längen für Redakteure in den Funkhäusern und Redaktionen. Fragen von einem Funkmoderator gesprochen, von Ute sende- und druckfähig beantwortet. Zur Vorbereitung saßen Ute und ich – wir hatten uns inzwischen angefreundet – bei unserem Stamm-Italiener Giorgio im Frankfurter Westend. Ute vor einer großen Portion Scampis, dazu eine Riesenschale Cocktailsoße, das Leibgericht des Stars; ich mit einem langen Fragenkatalog.
„Wie kommt man aus dem konservativen Münster auf die berühmteste Musical-Bühne Frankreichs?“
„Mit Ehrgeiz und Zielstrebigkeit. Mit sechs Jahren wollte ich schon Tänzerin werden, mit zwölf lagen Ballettschuhe unterm Weihnachtbaum, mit 15 tingelte ich mit meiner Jazzband durch die Clubs, und anstatt Hausauf­gaben zu machen, verbog ich mich in Ballettstudios und spielte Mini-­Rollen am Stadttheater. Kaum hatte ich das Abitur in der Tasche, war ich schon auf dem Weg nach Wien“.
„Warum Wien?“
„In Wien konnte ich am berühmten Max-Reinhardt-Seminar alles für meinen Berufswunsch studieren: Gesang, Tanz, Sprechen. Ich hauste in einer grausamen Altbauwohnung mit Kohleheizung. Mit 20 spielte ich dann die „Grizabella“ in der ersten deutschsprachigen „Cats“-Produktion, ein Jahr später in Berlin den „Peter Pan“ und in Stuttgart eine verwirrte Rocktante in der Savary-Produktion „Bye,bye, Showbi“’. Und Jerome Savary lockte mich von dort auch in sein Theater in Lyon, um seinen und meinen Traum von „Cabaret“ zu er­füllen. In einem Crashkurs polierte ich mein Schulfranzösisch und gewöhnte mich an den ungehobelten, aber genialen Produzenten und Regisseur Savary.“

Im großen Fernsehstudio des Hessischen Rundfunks diskutierte Ute Lemper wieder einmal lautstark mit Deutschlands erfolgreichstem TV-Re­gisseur Eckehard Böhmer. Ute verlangte eine vierte Probe einer komplizierten Tanzszene. „Das kann ich noch besser!“ war während der ganzen Produktion ihrer Personality-Show immer wieder ihr Standardsatz – und sie konnte es dann auch tatsächlich! Die Bigband des HR, die Kameraleute, Beleuchter und der Tonmeister waren täglich von der gnadenlosen Perfektion der Künstlerin genervt. Aber der Erfolg gab ihr recht: Ihre Show war ein Hit! Und zusammen holten wir das goldene Reh, den „Bambi“ aus dem Haus Burda, ab.

Lufthansa sorgte für den Transport – und Ute war in Moskau vom Stör in Aspik- Einerlei und der Borscht-Suppe erlöst.

Den TV-und Fotocall mit einem Riesenaufgebot von Fotografen und sieben TV-Teams hatte ich für den Premieren-Nachmittag der Lemper-Tournee im großen Saal des Hamburger Congress Centrums organisiert, um abends keine Störungen durch die Kameras zu haben. Ute war in Superform, posierte in Kostüm und Maske, warf ihre langen Beine hoch, flirtete mit den Kameras. Vier Stunden später das totale Chaos. Der Star saß heulend in der Garderobe, die Nerven flatternden, die Hände zitterten. „Sie hat Panik, will nicht auf die Bühne“, tobte Lieberberg, war verzweifelt und wütend. Nach fast einer Stunde liebevoller Seelenmassage und einigen Gläsern Champagner gingen wir Arm in Arm zur Bühne. Die Premiere war gerettet. Nach zwei Stunden feierte Hamburg mit Standing Ovations eine glückliche Lemper. 20 Städte, große Hallen, über 150.000 Zuschauer jubelten. Aber die deutschen Journalisten fingen an, das von ihnen geschaffene Denkmal mit Häme und Unsachlichkeit Stück für Stück zu demontieren. Wütend und enttäuscht über die unfairen Berichte in den Burda-­Blättern schickte Ute ihren Bambi nach München zurück, übersiedelte nach London, konzipierte ihre erste große Tournee mit Kurt Weill-Liedern, spielt bravourös im Londoner Westend die „Velma Kelly“ im Musical „Chicago“— später auch mit der Lemper supererfolgreich am Broadway.

Im Sommer 1991 ein Hilferuf aus Moskau nach Frankfurt: „Ich habe Hunger!“ Ute spielte seit Wochen in den Moskauer Mosfilm-Studios in der franzöisch-russischen Co-­Produktion „Moscou Parade“ eine Aristokratin in der Stalin-Zeit. Von Perestroika noch keine Spur. In einer veralteten Plattenbau-Wohnung ohne heißes Wasser, ohne Aircon­dition, mit Butan-­Gasherd, hauste der Star für sechs Wochen. Lieberberg wusste Rat: Wir packten in Frankfurt einen Louis-­Vuitton-Schrankkoffer voll mit Delikatessen: feinster Gänseleber, kanadischem Lachs und Hummerfleisch in Dosen. Lufthansa sorgte für den Transport – und Ute war in Moskau vom Stör in ­Aspik-Einerlei und der Borscht-Suppe erlöst.

Die neue Heimat der Familie Ute Lemper & Co ist seit 1998 die Upper West Side in New York. Einen Tag vor der Geburt ihres vierten Kindes heiratete sie 2011 Todd Turkisher, Schlagzeuger ihrer Tournee-Band. Das Allroundtalent Lemper entwickelte verschiedene Tournee-Programme mit Berliner Songs, Kurt Weill-Liedern, mit französischen Chansons, amerikanischen Musical-Songs und argentinischem Tango. Die Hälfte des Jahres ist die Entertainerin in den Konzertsälen der Welt von Australien, Japan, Europa, Israel, Nord- und Südamerika zuhause, wird mit Preisen geehrt – und ihre Weill-CDs stehen stets auf den vorderen Plätzen der US-Charts.

Auch die Konzerte in Deutschland werden bejubelt und von Kritikern gefeiert. ¶

Foto: Hansi Hoffmann