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Kloaken

geschrieben von Irene Lange im September 2019

Schatztruhen unserer Kultur

Mit der Hygiene sowohl im städtischen Bereich als auch in der täglichen Körperpflege war es in Zeiten des frühen Mittelalters nicht weit her

n Lüneburg wurden damals Abfälle, Fä­kalien und Tierkadaver oft auf den Gassen und Straßen entsorgt; Schweine liefen frei umher. Da muss es in der Stadt manchmal ziemlich gestunken haben. Abgesehen davon haben sich bei diesen Verhältnissen Krankheiten schneller verbreitet.
Auch war die Körperpflege vom jeweiligen gesellschaftlichen Stand abhängig: Wer täglich um seinen Lebensunterhalt kämpfen musste, hatte weniger Zeit für seine persönliche Hygiene. Nicht nur gegen schlechte Gerüche – vermeintlich auch gegen Unheil – konnte sich hauptsächlich das Patri­ziat mit ­einem sogenannten Bisamapfel schützen, der als Schmuckstück an einer Kette um den Hals getragen wurde. Dabei handelte es sich ein Ge­häuse – meist aus Edelmetall –, das eine Duftmasse in Kugelform mit wohlriechenden Pflanzen­essenzen umschloss.
Doch insbesondere in der Blütezeit der Stadt vom 14. bis 16. Jahrhundert wurde die Infrastruktur verbessert.

Dazu zählte die Entsorgung von Fäkalien, aber auch von sonstigen Abfällen oder Tierkadavern. Dazu wurden vermutlich auf jedem Grundstück sogenannte Kloaken angelegt. Es waren gemauerte runde Schächte von zwei bis vier Metern Durchmesser aus roten Back- oder selten Feldsteinen, die in den Boden bis zu fünf Meter Tiefe eingelassen wurden. Sie befanden sich zumeist im hinteren Teil der Grundstücke. Eine Einheit von Haus und Kloake ist bereits im Jahre 1356 im ältesten Stadtbuch erwähnt.
Zudem wurden zur Verbesserung der hygienischen Verhältnisse in der Stadt Verordnungen erlassen. So sollte niemand seinen Mist länger als drei Tage auf der Straße liegen lassen. Schlammkästen wurden zur Aufnahme von Unrat errichtet. Auch die Straßenreinigung wurde zu Beginn des 15. Jahrhunderts geregelt. In der Mitte des Jahrhunderts erschien ein Erlass unter der Überschrift „van den straten to reynigende“. Das bedeutete, dass für die öffentlichen Straßen und Plätze zum Fegen und zur Schmutzabfuhr verpflichtete Personen bestimmt wurden. Das mussten nicht immer die Nachbarn selbst sein. Es konnten auch Kirchenleute oder sogar die Sod­meister der Saline und die Klöster eingesetzt werden. Die Stadt selbst übernahm den Markt sowie die Areale der Fischmärkte rund um die Johanniskirche und vor den Stadttoren.
In die Kloaken kamen hauptsächlich Fäkalien und Küchenabfälle, aber auch fortgeworfene und nicht mehr benötigte Gegenstände des täglichen Lebens. Nur ein einziges Mal ist 1574 ein tot geborenes Kind gefunden worden. Kloaken wurden mehr oder weniger regelmäßig geleert und erst bei Stilllegung verfüllt.

Bis heute sind in Lüneburg rund 70 Kloaken untersucht bzw. bekannt. Besonders Prof. Dr. Edgar Ring, der als Archäologe in der Hansestadt als Leiter der Denkmalpflege und als Kurator im Museum Lüneburg tätig ist, hat sich um die Erforschung der archäologischen Funde verdient gemacht und zahlreiche Veröffentlichungen zu dem Thema herausgebracht (siehe www.stadtarchaeologie-lueneburg).
Für ihn gehören Kloaken zu den archäologischen Schatztruhen der Alltagskultur. Denn nicht nur die Fäkalien und organischen Abfälle verraten eine Menge über die Lebensweise und -umstände zu jener Zeit; auch die Gegenstände des täglichen Bedarfs geben wiederum Aufschluss über den damaligen Alltag. So ermöglichen die historischen Müllcontainer Einblicke in Lebensbereiche der damaligen Bewohner der Hansestadt, die der Archäologie sonst verschlossen bleiben.
Als eine besondere Fundstelle erwies sich eine Doppelkloakenanlage aus Backstein in der Lüneburger Altstadt Bei der St. Johanniskirche. Hier wurde typisches frühneuzeitliches Material – vor allem aus dem 17. Jahrhundert – gefunden. Eine Fülle von Keramik und Steinzeug in verschiedenen Formen und Farben wurde zutage gefördert, ebenso wie Arte­fakte aus Holz, Metall oder Knochen.
Bei Ausgrabungen in Lüneburgs Altstadt wurden aus mehreren Kloaken zahlreiche Textilien aus dem 16./17. Jahrhundert geborgen, darunter ein gut erhaltener Fingerhandschuh aus Wollgewebe sowie Strümpfe. Dass es im späten Mittelalter bereits kultivierte Obstsorten neben gesammelten Wildfrüchten gab, davon zeugen Fruchtsteine und -kerne. Diese Funde ließen Rückschlüsse auf die damals in den Lüneburger Gärten vorhandenen Obstgehölze und -sträucher zu.
Die Unterschiede der jeweiligen gesellschaftlichen Stellung geht ebenfalls aus den Funden hervor –beispielsweise befand sich auf dem Grundstück Baumstraße 17 auch die Herberge der Lüneburger Schiffergilde. Die dort in den Kloaken nachgewiesenen Pflanzenreste lassen Rückschlüsse auf die Ernährungsgewohnheiten der sozial höhergestellten Bevölkerungskreise zu. In den Kloaken waren getrocknete Feigenreste häufig vertreten, denn sie waren aus-
gezeichnet haltbar und ein wichtiges Handelsgut, vorwiegend aus dem Mittelmeerraum eingeführt.
Wichtige Funde sind zudem vollständig erhaltene Keramik-Ofenkacheln bzw. Napfkacheln aus dem 13. Jahrhundert. Interessant sind auch die Stielgrapen. Dabei handelt es sich um Kochtöpfe der frühen Neuzeit im 16. und 17. Jahrhundert, hergestellt in der Töpferei für den täglichen Bedarf. Es sind Kugeltöpfe auf drei Beinen und mit einem Rohrgriff. Die Rußablagerungen zeigen, dass sie auf offenem Feuer gebraucht wurden.
Bei einem Gang durch das Lüneburger Museum gibt die Ausstellung der Funde aus den Lüneburger Kloaken mit einer Fülle von Gegenständen aus dem Mittelalter bis zur frühen Neuzeit einen interessanten Einblick in das längst vergangene Alltagsleben der Hansestadt.

Fotos: Enno Friedrich, privat