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Bruchbuden gegen den Wohnraum-Mangel

geschrieben von Irene Lange im November 2019

Hinterhofbebauung gegen den Wohnraum-Mangel? Heute ein Thema, über das hitzig gestritten wird.

ls die Bevölkerung im späten Mittelalter – 15. bis 16. Jahrhundert – beziehungsweise im Übergang zur Renaissance auch in der
Hansestadt Lüneburg ständig wuchs, war Wohnraum knapp. Insbesondere zur Unterbringung der durch die florierende Wirtschafft wachsende Anzahl von Arbeitskräften auf möglichst engem Raum gefragt.
Nach dem Muster der Hansestadt Lübeck entschloss man sich, auf den Hinterhöfen der Grundstücke von Bürger- oder Patrizierhäusern kleine Behausungen zu bauen, die jeweils durch einen Zugang von der Straße aus erreichbar waren. Meist standen sich die Kleinsthäuser gegenüber, getrennt durch einen
schmalen Gang, dem sogenannten Wohngang. Dieser musste gerade so breit sein, dass ein Sarg hindurchpasste.
Der Architekt Heinz (Heiner) Henschke kam um 1975 aus Hamburg nach Lüneburg und wurde im Arbeitskreis Lüneburger Altstadt (ALA) aktiv. Vor rund 30 Jahren machte er sich als Architekt selbständig und widmete den Schwerpunkt seiner Arbeit der Denkmalpflege. So war er auch an den Sanierungsarbeiten des „Roten Hahn“ beteiligt. Heute – im Ruhestand – gilt der Bauforschung und der Stadtarchäologie immer noch sein größtes Interesse. Davon zeugt auch sein aus dem Jahre 1572 stammendes Wohnhaus in der Altstadt, das er vor 30 Jahren als Ruine kaufte und umfassend sanierte.
Intensiv hat er sich mit den früheren Lüneburger Wohngängen und Wohnhöfen beschäftigt. In einer umfangreichen Zusammenstellung hat er fast alle mit einer kurzen Beschreibung aufgeführt. Eine wichtige Quelle lieferten dazu das Urkataster von 1875 sowie Pläne von 1802 (Appuhn‘scher Plan) und 1956 (Brebbermann). Auch die „Straßennamen Lüneburgs“ von Wilhelm Reinecke von 1942 waren eine wertvolle Hilfe, ebenso wie alte Stadtpläne aus dem späten 18. Jahrhundert.
Zudem existieren noch alte Fotos – einige aus der Zeit der Jahrhundertwende. Darauf deutlich zu erkennen ist die enge Bauweise der aneinandergereihten Buden. Sie bestanden in der Regel aus einer Diele mit einer Stube und einer Feuerstelle, manchmal auch mit einem winzigen vorgebauten Stall. Die Wohnfl äche für eine Familie betrug selten mehr als 25 bis 30 Quadratmeter. Freifläche im Außenbereich oder gar einen Garten gab es nicht. So waren Hühner und Kleintiere zusätzliche Mitbewohner in den engen Räumlichkeiten. Eine steile Treppe führte noch auf einen Dachboden oder in das Obergeschoss. Anders als bei den Patrizier- bzw. Bürgerhäusern handelte
es sich bei diesen Behausungen um reine Mietobjekte, die im Gegensatz zuStiftungen – wie etwa Roter Hahn – Einnahmequellen für die gehobenere Schicht waren. Die Buden waren in der Regel als Reihenhäuser in Fachwerk gebaut,
manchmal auch zweigeschossig. Einige verfügten über beschnitzte Eingangstüren, in denen sich der Bauherr verewigte

Wie die Menschen in diesen primitiven und winzigen
Behausungen ihr Dasein fristen mussten, geht aus alten Unterlagen hervor. Sie stammen aus dem Jahr 1955 und beschreiben den Gödkengang, der zwischen der Salzbrückerstaße und Hinter der Sülzmauer lag. 1860 wohnte hier ein Maurergeselle Namens Göttgen. Dass man den Gang in Stinkbüdelsgang umbenannte, ist wohl bezeichnend für die Zustände, die in dieser Umgebung herrschten. Zudem
wurden die häufig mit einfachsten Baumaterialien reparierten Buden schon Ende des 19. Jahrhunderts meist so baufällig, dass sie abgerissen werden mussten, bevor sie endgültig zusammenfielen.
An einigen Stellen im Innenstadtbereich sind noch die alten Durchgänge zu den früheren Wohnhöfen zu erkennen, wobei jedoch die Buden längst verschwunden sind – ebenso wie die Namen ihrer Besitzer nur noch auf alten Plänen vorhanden sind. An der Altenbrücker Mauer gelegen war beispielsweise
der Sassengang, benannt nach dem Holzhändler
Friedrich Wilhelm Sasse, ebenso wie der Gagelmannsgang, mit dem Eigentümer Malachias Gagelmann. Auch das Anwesen der Patrizierfamilie Viskule mit seinem noch heute beeindruckenden Viskulenhof verfügte über einen Wohnhof, ebenso wie der Volgershof und Cordeshof.
Mit seiner Aufstellung von mehr als 60 Lüneburger Wohngängen und -höfen hat Heinz Henschke deren ehemaligen Bezeichnungen festgehalten, die zumeist auf deren Gründer oder Erbauer zurückzuführen sind. Nicht alle waren Stifter, die aus wohltätigen Zwecken ihren ärmeren Mitbürgern menschenwürdige Wohnverhältnisse schaffen wollten. Vielen ging es dabei um den Profit. Ihnen waren Not und Armut der Budenbewohner sowie die in der Regel sehr beengten Wohnverhältnisse meist egal.

Fotos: Sammlung Hajo Boldt