Wie böse ist die Schlange wirklich?
geschrieben von Irene Lange im September 2019Urangst vor Schlangen
Viele Menschen haben eine Urangst vor Schlangen. Schon in der Bibel wird die Schlange im Paradies als hinterlistige Verführerin der Eva und Symbol des Bösen dargestellt. Auch in Kiplings Dschungelbuch ist die Schlange Kaa darauf aus, den Jungen Mowgli erst zu hypnotisieren und dann zu fressen. Kurz – die Schlange ist eher unbeliebt.
as Gift mancher Exemplare kann tödlich sein, auf der anderen Seite jedoch für Wissenschaft und Medizin Heilung bringen. Von den 15 Reptilienarten (Eidechsen und Schlangen) kommt in Deutschland als einzige Giftschlange die Kreuzotter (Vipera berus) in den unterschiedlichsten Farbvarianten vor (z. B. schwarze Höllenotter und braune Kupferotter) vor.
Wie Ortwin Harms vom NABU Lüneburg versichert, muss sich vor unserer heimischen Kreuzotter niemand fürchten. Seit der 65-Jährige im Ruhestand ist, kann er sich seiner großen Leidenschaft für die heimische Tierwelt – hauptsächlich den Reptilien und Amphibien – noch mehr widmen. Um deren Bestände im Landkreis zu registrieren, ist er im Auftrag für das Land Niedersachsen unterwegs.
Schon als Kind hat er nach der Schule Frösche und Eidechsen gesucht. In Erinnerung ist ihm immer noch der Biss einer Kreuzotter. Da war er 7 oder 8 Jahre alt. Zunächst hatte er gar nicht gemerkt, weil er keine typischen Symptome spürte. Dennoch brachte ihn sein Großvater sofort zu einem Arzt gebracht. „Ich habe wohl auch nur einen Verteidigungsbiss abbekommen“, meint er und erklärt: „Kreuzottern geben dabei nur einen kleinen Teil ihres Giftes ab, um den Angreifer abzuschrecken. Erst bei einem Beuteangriff bekommt das Opfer die volle tödliche Ladung.“
Wie er betont, kommt unsere heimische Kreuzotter auch im Lüneburger Raum immer seltener vor – und die wenigsten werden eine Begegnung mit ihr haben, denn sie flüchtet sofort, wenn sie Gefahr wittert. Dennoch geschieht es immer wieder, dass geradezu hysterisch auf den Anblick von irgendetwas Schlangenähnlichem reagiert wird und womöglich auf das Tier gleich eingeschlagen wird.
Dieses Verhalten sollte aber der Vergangenheit angehören. Abgesehen davon, dass es sich oft gar nicht um eine Kreuzotter, sondern die harmlose, ungiftige Ringelnatter, Schlingnatter oder auch Blindschleiche handelt. Ohnehin stehen all diese Arten unter strengem Naturschutz und dürfen keinesfalls getötet werden. Übrigens zählt die Blindschleiche nicht zu den Schlangen, sondern gehört zur Familie der Schleichen, also eher eine Schlange ohne Beine.
Die Kreuzotter ist zu erkennen an der dunklen gezackten Linie auf dem Rücken. Ihr Kopf ist charakteristisch mit der stumpfen Schnauze und mit deutlichen Schuppen bedeckt. Die Pupillen der Augen sind senkrecht. Ihr gedrungener Körper kann bis zu 80 Zentimeter lang werden. Manche Exemplare leben mehr als 20 Jahre. Ihre Jungen – 4 bis 18 in einem Wurf – bringt sie lebend (ovovivipar) zur Welt. Auch Schlingnattern sind lebendgebärend, während die Ringelnatter 10 bis 40 Eier (ovipar) ablegt, aus denen bis zu 40 Jungtiere schlüpfen können.
Der bevorzugte Lebensraum der Kreuzotter sind Moor- und Heidegebiete. Obwohl sie hauptsächlich tagaktiv ist, wird sie äußerst selten anzutreffen sein. Wenn doch einmal ein Exemplar entdeckt wird, sollte es unterlassen werden, dem Tier zu nahe zu kommen oder es sogar anzufassen. Denn dann könnte die Schlange zu ihrer Verteidigung zubeißen – wie erwähnt, zumeist mit geringer Giftabgabe. Der Mensch gehört eben nicht zum Beutetier. Bevorzugt gehören zu ihrem Speiseplan Frösche, Mäuse und andere Kleinsäuger. Die nach dem Biss verendete Beute wird dann mit dem Kopf voran im Ganzen verschlungen. Fressfeinde der Kreuzotter sind hauptsächlich Wildschweine, aber auch Füchse, Marder und Greifvögel.
Um überhaupt zu erkennen, ob es sich um einen Biss der Kreuzotter handelt, sollten die typischen Symptome beachtet werden, nämlich zwei winzige Bissmarken im Abstand von etwa einem Zentimeter. Dann treten nach einiger Zeit Schmerzen und eine Schwellung mit blau-rötlicher Verfärbung der gesamten Extremität auf. Möglich sind auch Übelkeit/Erbrechen, Herzklopfen, Schweißausbruch und Kreislaufstörungen. Dennoch sollte nach einem Biss die Ruhe bewahrt werden. Es wird empfohlen, sich möglichst wenig zu bewegen. Auf keinen Fall sollte an der Wunde gesaugt oder diese sogar aufgeschnitten werden. Auch die betroffene Extremität nicht stauen oder abbinden, nur ruhigstellen. In jedem Fall muss ein Arzt aufgesucht werden. Hilfreich ist die Angabe der Uhrzeit des Bisses und eventuell ein Foto der Schlange. Auch der beste Freund des Menschen kann von einer Kreuzotter gebissen werden, wenn er in Feld und Flur herumschnüffelt. Auch für ihn gilt: gleich zum Tierarzt!
Obwohl in manchen Gegenden Deutschlands – z. B. in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen oder Thüringen – sich zu manchen Zeiten Verletzungen durch einen Kreuzotterbiss häuften, ist seit 1960 in Deutschland nur ein Todesfall bekannt geworden. 2004 starb eine 81-jährige Rentnerin auf der Insel Rügen nach einem Kreuzotter-Biss aufgrund der allergischen Reaktion – und nicht aufgrund der Vergiftung.
Fotos: Ortwin Harms
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