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Trabis, Tränen und eine Stadt im Taumel

geschrieben von Sebastian Balmaceda im November 2019

t. „Ich hatte das im Radio gehört, aber überhaupt nicht registriert, was es bedeutet.“

Plötzlich standen die Trabis auf dem Marktplatz, tuckerten über den Sande. Das 2. November Wochenende 1989, die Tage, an denen die Mauer fiel. Tage, die auch für Lüneburg von historischer
Bedeutung waren und sind. In Quadrat erinnert sich der damalige Oberstadtdirektor Reiner Faulhaber

Es begann am Donnerstag, 9. November, gegen 19.30 Uhr mit der legendären Pressekonferenz des SED-Funktionär Günter
Schabowski und dem Satz, der alles veränderte: „Deshalb haben wir uns dazu entschlossen, heute eine Regelung zu treffen, die es jedem Bürger der DDR möglich macht, über Grenzübergangspunkte der DDR auszureisen.“ Auf die Nachfrage, ab wann das gelte, stammelte Schabowski: „Das trifft nach meiner Kenntnis ist das sofort, unverzüglich …“ Am Freitag öffnete eine Ausgabestelle im Glockenhaus, die ersten DDR-Bürger holten sich ihren Hunderter ab. Faulhaber: „Schnell wurde klar, dass wir mehr Bargeld brauchen. Aber woher nehmen am Freitagabend? Die Barbestände bei den Banken waren elektronisch gesichert. Die Chefs im Wochenende.“ Sonnabend erwartete Lüneburg einen Riesenansturm von DDR-Bürgern. Was tun?
Wenn der Verwaltungsprofi von diesen Tagen erzählt, dann ist da das legendäre Faulhaber-Funkeln in seinen Augen. Da spürt der Zuhörer das MacherGen des Juristen. Nun, es gelang ihm mit seinem ebenfalls bestens vernetzten Kämmerer Müller eine
Viertelmillionen D-Mark in bar aufzutreiben und auszuzahlen, zwei Geldhäuser Am Sande öffneten am Wochenende
„Ich hatte das im Radio gehört, aber überhaupt nicht registriert, was es bedeutet“, sagt Reiner Faulhaber rückblickend. Am Abend rief sein Kämmerer Reinhold Müller an und fragte: „Wieviel Begrüßungsgeld werden wir wohl benötigen, 50.000 Mark?“ Das hätte für 500 Menschen gereicht.

Wenn Geschichte geschrieben wird, dann ist keine
Zeit für Paragraphenreiterei. Faulhaber: „Ich habe meinen Leuten gesagt: Alles laufen lassen, keine Bürokratie jetzt. Lasst die Leute ihre Freiheit genießen.“ Kurzerhand wurde das Ladenschlussgesetz außer Kraft gesetzt, Sonntag stürmten die „Brüder und Schwestern von drüben“ die Innenstadt: Shoppen! Klamotten, Obst, Gemüse, Spielzeug. Es ist bezeichnend für Deutschland, dass Faulhaber Wochen nach diesen Tagen der Wiedervereinigung einen offiziellen Rüffel der Kommunalaufsicht aus Hannover bekam. Ja, ja, die Läden hätten nicht geöffnet werden dürfen. Was für Betonköpfe! Egal. Faulhaber und der damalige Oberbürgermeister Jens Schreiber – damals waren Verwaltung und Repräsentanz noch getrennt – organisierten mit

Lüneburger Bäckern ein gigantischer Willkommenskaffee mit hunderten Blechen Butterkuchen im Rathaus. Faulhaber: „Es war großartig, wie die Lüneburger mitgemacht haben. Dutzende Mitarbeiter der Verwaltung waren selbstverständlich am Sonnabend und Sonntag im Einsatz. Diese Atmosphäre –
kaum zu beschreiben. Es war eine unglaublich fröhliche Aufbruchstimmung.“ Faulhaber spricht von den emotionalsten Momenten seiner Laufbahn. Und er erinnert sich an die Wiedervereinigungsfeier mit dem Amt Neuhaus, als der damalige Landesbischof Horst Hirschler in einer seiner denkwürdigen Predigten sagte: „Jetzt muss eine Brücke her, die die lange getrennten Kreise miteinander verbindet. Erst dann
ist die Einheit abgeschlossen.“
Das mit der Brücke werden wir wohl vergessen können, dafür fehlen die Macher von einst in den Verwaltungen. Unvergessen bleibt das Wochenende der Freu(n)de, der Tränen und Trabis – die Gastfreundschaft der Lüneburger

Fotos: Michael Behns