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Rettmers alte Ziegelei

geschrieben von Irene Lange im Dezember 2013

Ende einer 120-jährigen Industriegeschichte: Es ist noch nicht lange her, dass Lüneburger Ziegel in alle Welt exportiert wurden. Doch seit 2009 ist es vorbei, und das Gelände der Fabrik in Rettmer verwaist. Wie ein mahnender Finger ragt der große Schornstein heute noch empor

Verbunden mit dem Namen der alten Ziegelei und ihrer Geschichte ist der Name Fuhrhop. Die Familie stammt ursprünglich aus der Umgebung von Soltau, wo heute noch ein Ort gleichen Namens existiert. Schon 1628 kam der erste Vorfahre, Peter zum Fuhrhop, nach Rettmer. Er erwarb durch Einheirat ein im Jahre 1555 erbautes Zweiständer-Bauernhaus, das bis dahin im Besitz einer Familie Stegen war. In der laufenden Erbfolge war es dann Johann Heinrich Christoph Fuhrhop, der im Jahre 1836 das bisherige Gebäude zu einem großen strohgedeckten Vierständer-Bauernhaus einschließlich einer „Schankstube“ erweiterte. Auch wurde ein großer idyllischer Kaffeegarten vor dem Haus angelegt. Die „Schankstube“ florierte bis zum Ausbruch des Krieges 1939. Seinerzeit war es ein beliebter Ausflugsort; man kam gern zu Kaffee und Kuchen zu Mutter Fuhrhop ins Gasthaus. Heute steht das imposante, unter Denkmalschutz stehende Fachwerkgebäude leer. Es wurde verkauft, und der neue Besitzer hat bisher wohl noch keine neue Nutzung vorgesehen.
Johann Heinrich Christoph Fuhrhop hatte zwei Söhne. Der ältere, als regulärer Hoferbe, verunglückte jedoch schon in jungen Jahren tödlich. Daraufhin trat Otto Heinrich Fuhrhop das Erbe an. Er kaufte im Jahre 1887 eine Ziegelei am südöstlichen Dorfrand von Rettmer, dem heutigen Pilgerpfad. Diese bestand hauptsächlich aus einem Schuppen, in dem die wesentlichen Gerätschaften zur Herstellung von Ziegeln untergestellt waren. Auf einer Freifläche wurden die frisch gebackenen Ziegel zum Trocknen abgelegt und in einem Feld brandofen gebrannt. Ton für die Ziegel musste jedoch aus 1,5 km Entfernung südlich von Rettmer, unweit der Heiligenthaler Straße, herangeschafft werden. Damals geschah das mittels zweirädriger Karren (schottschen Karren), die von nur einem Pferd gezogen wurden. Doch dieser Transport war Fuhrhop auf die Dauer zu umständlich und auch zu kostspielig. Kurzerhand demontierte er die Ziegelei und baute sie direkt neben dem Tongelände, dem heutigen Standort der großen Ziegelei, wieder auf.
Schon im Mai 1888 konnte die Ziegelfabrikation in Betrieb gehen. Den Ton für die Form und das nachfolgende Brennen vorzubereiten, war seinerzeit ­immer noch ein mühsames Unterfangen.

Nach dem Krieg lieferte man kostenlos Ziegel, wenn die Empfänger dafür eine gewisse Zeit in der Ziegelei mitarbeiteten.

Die Rohmasse befand sich dafür in einem runden Behälter mit festem Stand, an dem ein Querbalken befestigt war. Pferde mussten diesen im Kreis drehen, damit die Masse gemischt und zur Verarbeitung vorbereitet werden konnte. Von Hand wurde dann ein Batzen Ton in einen Formkasten geschlagen, abgestrichen, als Rohling auf dem Freigelände zum Trocknen ausgelegt und sodann im Feldbrandofen bei 1.000 Grad gebrannt. Auch wurde die Herstellung von Dach- und Zierziegeln aufgenommen. Auf diese Weise konnten etwa 20.000 bis 30.000 Ziegel per anno hergestellt werden.
Am Ende des 19. Jahrhunderts betrieb Otto Fuhrhop, der Ältere – Großvater des letzten Besitzers der Ziegelei, dem heute 82-jährigen Otto Heinrich Ernst Fuhrhop — die Hofstelle mit Gastwirtschaft und die Ziegelei. Schon 1905 wurde der erste mit Kohle beheizte Kammerofen gebaut, in dem man die Ziegel brannte. Glasuren gab es damals allerdings noch nicht; Dach- und Mauerziegel hatten die Farbe des üblichen roten Tons.
Vier Kinder hatte Otto Fuhrhop, der Ältere. Der älteste Sohn, Otto Fuhrhop, wurde für die Überwachung und Verwaltung der Ziegelei eingesetzt. Er hatte unmittelbar nach dem Ende des Ersten Weltkrieges die Ingenieurschule für Keramik in Lemgo besucht und machte dort 1920 seinen Abschluss. Dem zweiten Sohn, Ernst Fuhrhop, oblagen Betrieb und Verwaltung der Ländereien und der Gastwirtschaft. Der Fortschritt stand auch in Rettmer nicht still, und so wurde 1921 als Energieerzeuger eine Dampfmaschine für die Ziegelei angeschafft. Damit konnte auch die erste automatische Presse eingebaut werden. Von da an wurde nicht mehr per Hand geformt und die Produktion nur auf Mauerziegel umgestellt. 1924 kam dann ein großer „Hoffmannscher Ringofen“ hinzu, dieser sorgte dafür, dass die Jahresproduktion auf rund 1,6 Mio. Stück gesteigert werden konnte – eine stolze Zahl. Der Abtransport der Ziegel geschah dann mit einem extra verstärkten Wagen, der von einem, zeitweise zwei Pferde­gespannen gezogen wurde. Damals war die Ziegelei im Besitz von sechs dieser „Lastwagen“, die je nach Größe 800 bis 1.200 Ziegel laden konnten.

Überwiegend auf Sandwegen ging es zu den Baustellen im Umkreis von bis zu 20 km, ein mühseliges ­Unterfangen für Mensch und Pferd. Ab 1936 erleichterte eine Zugmaschine mit drei Anhängern den Transport.
Dann kam der Krieg. Doch es wurde weiter produziert, allerdings vorwiegend für militärisch genutzte Bauten wie den Hamburger Flughafen, eine chemische Fabrik in Melbeck, die Säure für Munition produzierte. 1944 kam die Auflage, mit dem firmen­eigenen Lkw einen Sommer lang Grubenholz in der Göhrde abzufahren. Es wurden auch Kriegsgefangene aus Holland, Belgien, Polen und Russland zur Arbeit abgestellt, die gemeinsam auf dem Firmengelände wohnten. „Die hatten es aber gut“, erinnert sich Otto Fuhrhop; „meine Mutter hat für alle gekocht, keiner musste hungern“. Nach dem Krieg seien einige noch zu Besuch gekommen. Noch immer waren Gastwirtschaft, Landwirtschaft und Ziegelei als eine Einheit im Besitz der Familie Otto Fuhrhop, dem Älteren und seinen vier Kindern. Erst im Kriegsjahr 1940 teilte man durch einen Erbschaftsvertrag Gasthaus und Ländereien sowie die Ziegelei unter den Brüdern Otto Fuhrhop, dem Jüngeren und Ernst Fuhrhop auf.
Anfang 1945 wurden der firmeneigene Lastwagen samt Hängern „abkommandiert“ und damit V 1-Raketen von Peenemünde nach Cuxhaven transportiert. „Mein Vater wunderte sich, was das für ein großes Geschoss war“, erinnert sich Fuhrhop. Der Lkw über­stand diese Lasten allerdings offensichtlich nicht. „Wir sahen ihn nie wieder“.
Nach dem Krieg ging es an den Aufbau; Steine wurden in Mengen gebraucht. „Allerdings hatte niemand Geld – mein Vater auch nicht“, erzählt der Lüneburger.

Da sei ihm die Idee gekommen, auch ohne Geld zu liefern, wenn die Empfänger dafür eine gewisse Zeit in der Ziegelei mitarbeiteten; und für die Energie tauschte man Ziegel gegen Kohle aus dem Ruhrgebiet. Das System funktionierte bis 1948 gut. Nach der Währungsreform war es dann vorbei mit den Tauschgeschäften. Dann ging es regulär zu – auch mit Bankkrediten, wie es im Geschäfts­leben eben üblich ist.
Anfang der 50er Jahre übernahm die nächste Generation die Ziegelei. Als gelernter Kaufmann stieg Otto Ernst Heinrich Fuhrhop mit 20 Jahren in das elterliche Geschäft ein. Es wurde weiter modernisiert, erweitert und die gesamte Fabrikation auf Vollautomatik umgebaut. Ab 1960 führte er den Betrieb allein verantwortlich. Das 1963 erbaute Pressenhaus steht noch heute, ebenso der ein Jahr später fertig gestellte Tunnelofen, dem 1967 ein zweiter folgte. Einen Rückschlag erfuhr die Ziegelei im Jahre 1965, als ein großer Teil der Gebäude abbrannte und ein Mensch dabei zu Tode kam. Bis heute ist die Ursache nicht aufgeklärt.
Dennoch war die rettmersche Ziegelei bald wieder einer der modernsten Betriebe Deutschlands.18 bis 20 Mitarbeiter beschäftigte man, das Leis­tungs­volumen lag bei rund 30 Mio. Ziegel pro Jahr. Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre wurde zusätzlich die Produktion für die Altbausanierung aufgenommen. Dafür wurde wieder per Hand geformt: Zierziegel, Glasuren und Terrakotten. Ab 1985 konnte der älteste Sohn Jörg nach absolviertem Ingenieurstudium in das Geschäft einsteigen.

Sohn Jörg stellt heute auf dem Gelände der Betonfabrik exklusiv von Hand geformte Ziegel für die Restaurierung historischer Gebäude und Kirchen her.

1990 kam der jüngere Sohn Christoph als gelernter Kaufmann dazu. Beide seien ein ideales Gespann gewesen, erzählt Vater Fuhrhop. Es wurde in alle Welt exportiert; ganze Schiffsladungen gingen nach Libyen, Finnland oder Japan – um nur einige Länder zu nennen. Egal, wo Ziegelfassaden saniert wurden: Es wurde dafür Material aus Rettmer geliefert oder Sonderanfertigungen für Kirchen hergestellt. Das Geschäft florierte. Dann traf die Fuhrhops ein schwerer Schicksalsschlag. Christoph Fuhrhop erkrankte an Krebs und starb mit 31 Jahren.
„Nach den Höhepunkten ging es mit unserem Betrieb langsam bergab“, erzählt Otto Fuhrhop, der im Jahre 2000 aus dem Geschäft ausstieg. Als Ende 2008 die schwere Finanzkrise kam, war auch die Baubranche betroffen. 2009 kam nach 121 Jahren das Aus für die Ziegelei in Rettmer. „Grund war auch ein Missmanagement, da dürfen wir nichts beschönigen, aber ebenso ein großer Druck von außen“, stellt Fuhrhop fest. Die Ziegelei und Ländereien sind nun in andere Hände übergegangen. Was die neuen Besitzer damit vorhaben, sei noch nicht bekannt.
Aber so schnell gibt ein Fuhrhop anscheinend nicht auf. Sohn Jörg hat sich vor gut einem Jahr unweit des alten Ziegeleigeländes wieder selbständig gemacht. Er stellt auf dem Gelände der Betonfabrik zwar in bescheidenerem Rahmen, jedoch exklusiv, von Hand geformte Ziegel für die Restaurierung his­torischer Gebäude und Kirchen her.(ilg)

Foto: Enno Friedrich, Winfried Machel,