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Die Ratsmühle

geschrieben von Irene Lange im Mai 2014

Bereits 1319 wurde der Mühlenkomplex in Schriften erwähnt. Die Ratsmühle sorgte später für die Versorgung der Stadt mit Getreide. Heute werden die einzelnen Gebäude der Ratsmühle sowohl privat als auch gewerblich genutzt

In der Nähe der altehrwürdigen St. Johannis-­Kirche und im Schatten des Lüneburger Wasserturms befindet sich eines der bedeutendsten Architekturensembles der Niedersächsischen Mühlenstraße: die Lüneburger Ratsmühle, die direkt auf die vorbeirauschende Ilmenau schaut. Einst gehörte der bereits 1319 als Mühlenstandort erwähnte gesamte Mühlenkomplex wie die beiden anderen wassergetriebenen Getreidemühlen der Stadt, Abtsmühle und Lüner Mühle, zum Eigentum der Landesherrschaft. Von den Herzögen Otto und Wilhelm erwarb im Jahre 1332 der Lüneburger Bürgermeister Albert van der Molen die Ratsmühle für 500 Mark „lötigen Silbers“. Dessen Söhne Ditmer und Johann verkauften sie später als erbliches Lehen. Ab 1407 wurde die Belehung dem Rat der Stadt Lüneburg übertragen und damit die Versorgung mit Getreide sichergestellt. So entwickelte sich im Laufe der weiteren Jahrhunderte ein reger Mühlenbetrieb, zu dem zwei Kornmühlen gehörten und weitere Nutzungen als Walk-, Loh- und Beutlermühle sowie als Papier-, Öl- und Schleifmühle bestanden. Drei Wasserräder setzten ab 1782 ein Balkengestänge in Bewegung, das nach seinem Konstrukteur, dem Hamburger Baumeister und späteren Lüneburger Stadtbaumeister Ernst Georg Sonnin (1713–1794) benannt wurde. Danach sorgten insgesamt zwölf Räder dafür, dass man noch bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts das Klappern der Mühle in der ganzen Stadt hören konnte. Nach der Demontage zeigt immer noch ein Modell des Balkengestänges im Deutschen Salzmuseum die Funktion.
Bereits 1572 war der Turm der Ratswasserkunst von der vier Jahre zuvor gegründeten Ratswasserkunst-Gesellschaft gebaut worden. Ein Wasserrad der Ratsmühle trieb ein Schöpfwerk an, welches das kühle Nass in das obere Stockwerk des Turms transportierte, um über Rohrleitungen die Stadt mit Ilmenauwasser zu versorgen. Das mit Fachwerk versehene schlichte Bauwerk ist heute umgebaut und wird von Privatleuten als reizvolle Ferienwohnung vermietet.

Im 18. Jahrhundert bestand der Komplex aus zwei Mühlengebäuden – dem Hauptgebäude, der Kreuzmühle, dem heutigen Amt für Agrarstruktur, und der Dragonermühle. Darin befand sich jeweils eine Kammer, in der die Müllerburschen schliefen. Es gab auch eine Stube für den königlichen Mühlenschreiber sowie ein sogenanntes Privé. Für den jeweiligen Mühlenpächter wurde 1758 eigens eine Wohnung neu gebaut. Eine Scheune mit Kuhstall, Schweinekoben, zwei Hühnerställe und ein Pferdestall für drei Pferde waren ebenfalls vorhanden.
Der Überlieferung nach wurde durch den Lüneburger Rat erstmals um 1600 ein Ratsmühlenmeister eingesetzt. Er hatte für den Erhalt der Gebäude zu sorgen, erhielt neben seinem festgelegten Lohn freie Wohnung auf dem Mühlengelände und zudem eine großzügige Kornzuteilung. Mehrere Müller­burschen, die er zu beaufsichtigen hatte, standen ihm zur Seite. Strenge Anforderungen wurden an die Eignung der jeweiligen Betreiber gestellt, die den Mühlenbetrieb über die Jahrhunderte aufrecht erhielten. So lautet beispielsweise die Empfehlung für einen von ihnen: „Dass man einen so fleißigen und arbeitsamen Menschen, der sein Handwerk wohl erlernet hat, der gar nicht liederlich und dem Gesöff nicht zugetan ist, nicht fahren lassen könne“. Die Mühlengäste waren höflich zu behandeln und man hatte ihnen tadelloses Mehl zu liefern. Das Wasser der Ilmenau sollte nicht ungebührlich aufgehalten und auch nicht den beiden anderen Mühlen (Lüner- und Abtsmühle) zum Schaden und Nachteil laufen gelassen werden.
Der Pachtvertrag beinhaltete folgende Verordnungen: Die Pachtzeit hatte drei Jahre zu betragen, die Jahres­pacht musste sich auf 1.577 Reichstaler belaufen. Der Pächter hatte persönlich an das Amt Lüne und an das Domkapitel Bardowick vorgeschriebene Mengen Roggen zu liefern. Zudem hatte er die Mühle mit allem Zubehör, die Karrenpferde und -knechte wie auch die Mühlendämme zu beaufsichtigen.

Doch auch die Stadtverwaltung hatte Pflichten: Sie musste stets darauf bedacht sein, für den Fall eines Krieges und einer damit verbundenen Belagerung über hinreichende Lebensmittel für die Bevölkerung zu verfügen. So war nicht nur ein Haus für die Kornspeicherung vorhanden, sondern es lagerten auch auf den Dachböden zahlreicher anderer Gebäude große Roggenvorräte. Darüber hinaus war darauf zu achten, dass ausreichend Mühlsteine vorrätig waren, so dass die schadhaften ersetzt werden konnten. Es wird überliefert, dass im Jahre 1437 einige davon vergraben wurden „by dem Huse by des Rades Mohlen. als man geitt nha der Stadtmüren, in der kleinen Strate“. Diese Mühlsteine wurden glatt vergessen, zwei kamen aber 1501 wieder zum Vorschein. Ein dritter tauchte Jahre später wieder auf. Weil die Beschaffung aus den Mittelgebirgen während des späteren Dreißigjährigen Krieges unmöglich war, konnte man sie dann noch gut verwenden.
Ab 1820 wandelte der Rat die Oberen Mühlen zum Erbzinsgut um. Erster Pächter war der Müller Heinrich Daniel Hammer. Größere technische Veränderungen des Mühlenkomplexes nahm der seit 1854 amtierende Erbzinsmüller Heinrich Christoph Findorff vor. Er ersetzte 1861 die Walkmühle durch einen Fabrikneubau und ein kleines Maschinenhaus. Der daneben hoch aufragende Schornstein dient heute noch als Rauchabzug der Heizungsanlage des Wohnanwesens.

Seit 1928 ist der Mahlbetrieb in der ursprünglichen Form stillgelegt. Im ehemaligen Kornmühlengebäude wurden stattdessen Turbinen eingebaut, die Strom produzieren und diesen in das Netz des hiesigen Elektrizitätswerkes einspeisen. Das Hauptgebäude, die Kreuzmühle, ist heute vom Land Niedersachsen zur Unterbringung einer Behörde angemietet. Im Jahre 1938 erwarb die Familie Heicke die Mühle, deren heutiger Besitzer Martin Heicke ist. Die beiden nach den Beschädigungen des 2. Weltkriegs eingebauten Turbinen sorgen noch heute für Strom, der ins öffentliche Netz eingespeist wird. Die einzelnen Gebäude des gesamten Komplexes der Ratsmühle sind durchweg gut erhalten und werden privat als auch gewerblich genutzt. Abgesehen davon sind sie immer wieder eine touristisch reizvolle Attraktion der Stadt und ein beliebtes Fotomotiv.(ilg)

Fotos: Sammlung Hajo Boldt
Fotos: Enno Friedrich; StadtAlg, BS, Druck_Gr-64, Eduard Lühr