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Quadro Nuevo

geschrieben von André Pluskwa im September 2012

Reisen ans Ende der Welt, Reisen ins eigene Innere – Musik für Menschen in Bewegung

Über Quadro Nuevo schreiben, ist eigentlich müßig, hat die Band selber doch im letzten Jahr mit ihrem Buch „Grand Voyage“ zu Papier gebracht, was Quadro Nuevo so besonders macht, nämlich ihr kosmo­politisches Dasein, ihre Fähigkeit, mit ihrer Musik Türen zu öffnen, für jeden Ort der Welt, ob man nun für Arm oder Reich, hochgebildetete New Yorker Akademiker-High-­Society oder malaysische Bauern aus der Provinz spielt, die richtigen Tönen zu finden.
Aber von vorn: Mitte der Neunziger fanden vier Künstler zusammen, die nicht nur die Virtuosität einte, sondern auch die Rastlosigkeit, der Drang zu reisen, in Bewegung zu bleiben; der Wunsch, die Welt kennenzulernen; sie mit den eigenen Klängen zu füllen, die bestmöglichen Klänge für jeden Ort überhaupt zu finden, jene Klänge, die dazu führen, dass man Ort wie Moment wahrhaftiger empfindet. Sekunden ziehen plötzlich nicht mehr nur vorbei, sondern sie beginnen uns zu berühren. Und selbst, wenn man im schlechtesten Sommer aller Zeiten in Lüneburg sitzt, hört man ihnen zu, ist man plötzlich ganz woanders, es könnte ein verschlafener Dorfplatz in Mexico sein, die Sonne brennt und der Staub zeichnet deine Beine. Und plötzlich willst du nur dorthin, an diesen Ort, an dem du niemals warst.

Quadro Nuevo scheint sich chamäleonhaft an andere Orte anzupassen, die es mit Musik zu beschenken gilt.

Kein Wunder übrigens, das mit dem Fernweh, ist ihre Musik doch durchtränkt davon. Dabei handelt es sich allerdings nicht um den nächsten musikalischen Aufguss in Sachen „World Music“; Quadro Nuevo haben ihre ganz eigene Melange entwickelt, eine bezaubernde Mixtur aus „Tango, Valse Musette und Flamenco, liebevoll entstaubter Filmmusik und einem fast schon verklungenen Italien“, so die Band in der Selbstbeschreibung. Ihre Musik spielen sie in den namhaftesten Jazzclubs der Welt, füllen als Konzert-Ensmble große Säle wie die New Yorker Carnegie Hall, lassen es sich aber nicht nehmen, auch als Tangokapelle bei Straßenfesten zu fungieren oder als Straßenmusiker den Hut herumgehen zu lassen; man ist geneigt zu sagen, dass Quadro Nuevo sich chamäleonhaft an die Orte, die es mit Musik zu beschenken gilt, anzupassen in der Lage ist — so kommen sie überall gut an, in der Fachwelt ebenso wie bei Passanten, deren musikalische Sozialisation mit der NDR-Plattenkiste endete.
Dass es sich bei Quadro Nuevo eben nicht um Straßenmusikanten handelt, sondern um ausgebildete Profis, die bereits auf künstlerische Karrieren vor Quadro Nuevo zurückschauen können und sich oder sonst wem nichts mehr beweisen müssen, macht die Sache mit dem Reisen so besonders. Hier haben sich vier Menschen mit Haut und Haaren auf ein gänzlich anderes Leben als bisher eingelassen und teils ihren Tribut bezahlt: Gründungsmitglied Robert Wolf erlitt 2008 einen schweren Autounfall, ist seitdem gelähmt und wurde durch die Harfenistin Evelyn Huber ersetzt, die seither zusammen mit dem Saxo­fonisten Mulo Francel, dem Kontrabassisten D. D. Lowka und dem Akkordeonspieler Andreas Hinterseher die schönsten Orte dieser Welt mit ihren Klängen erfüllt; zur Orientierung seien hier Singapur, Korea, Kanada, USA, Australien, Mexiko, Europa, Israel oder dem Baltikum erwähnt, die unzähligen Auftritte bei nahezu allen namhaften Festivals und die zahlreichen Preise und Ehrungen für die Band im Hintersinn. Aber wen interessieren sie schon, all die Statuetten und Charts-Platzierungen, wenn es darum geht, die Sonne heute Abend im Meer unter­gehen sehen zu können, derweil du eins bist mit deinem Instrument!?
Trotzdem jetzt an dieser Stelle ein Produkthinweis! Neben oben bereits erwähntem, sehr zu empfehlendem Buch „Grand Voyage“ inklusive dazugehörigen Tonträgern, haben Quadro Nuevo zuletzt den Soundtrack für das Hörbuch „Nacht der Einsamen“ der Autorin Julie Fellmann beigesteuert, haben eine Live-CD mit ihren Lieblingsliedern der letzten 16 Jahre veröffentlicht und zudem noch eine CD mit ihren Versionen von Kinderliedklassikern wie „Suse liebe Suse“ und „Hejo spann den Wagen an“ herausgebracht. Das Überraschende: Diese CD ist wirklich der Hit, den Quadro Nuevo-Versionen gelingt es, den Hörer direkt zurück in die Kindheit zu führen, zurück in jene Zeit, als die Lieder ganz nah am Alltag waren. Diese Art der Reise ist wahrhaftig die bewegendste, hier entfaltet das Quartett seine ihm eigene emotionale Kraft noch einmal potenziert, denn plötzlich hören wir mit Kinderohren, und die hören bekanntlich viel mehr vom Wesentlichen als wir ­Erwachsenen, die wir in etwas hineingeschlittert sind, was unser Leben sein soll. Dabei ist es oftmals nur trüber Alltag, ein Tag gleicht dem anderen, ein Joch aus Sachzwängen hindert uns das zu tun, was uns Quadro Nuevo vormachen. Wir müssen daheim bleiben. Gut dass Quadro Nuevo zu uns kommt, da können sie dann Türen aufmachen in uns, und alles, auch das eigene Leben, scheint und klingt neu. Kunst, die das kann, führt alle Dispute über die Sackgasse der Kunst ad absurdum. Durch Musik gefühlte Freiheit ist wirklich!(ap)
Foto: Olaf Becker

Konzert-Tipp
Quadro Nuevo: Grand Voyage
Vamos!
Donnerstag, 20. September
20.00 Uhr