Aus der Tiefe des Raumes
geschrieben von Rüdiger Albert im April 2011GOLF-PLATZREIFE IN DREI TAGEN

Golf ist für Anfänger kein Honigschlecken –
oder wie Golfliebhaber John Updike es formulierte:
„Natürlich ist Golf alles andere
als ein Hobby. Hobbys spielen sich im Keller ab
und riechen nach Bastelleim.“ Golf ist viel mehr,
Golf ist Faszination: physische, geistige und – man
glaubt es kaum – auch ethische. Viele möchten
spielen, fürchten aber hohe Kosten, großen Zeitaufwand,
bürokratische Hindernisse. Jetzt gibt es
ein Starter-Modell, das rank und schlank daherkommt.
Aber taugt es etwas?
Fracksausen, Platzangst, Ballscheu? Nicht die
Spur. Was soll schon dabei sein, eine 46 Gramm
leichte weiße Kugel von 43 Millimetern Durchmesser
über eine grüne Wiese zu treiben und in
ein 10,8 Zentimeter messendes Erdloch zu versenken?
Wenn selbst 60- und 70-Jährige locker
und scheinbar mühelos bei dem legeren Ballspiel
durch weite Auen tollen, dann wirst du auch ganz
fi x den Dreh fi nden, denkt der Eleve. Also frohgemut
den Arm gehoben und die Anmeldung
abgegeben – Golfen lernen in 17 Stunden an drei
Tagen zum Preis von 239 Euro, so lautet die Werbeverheißung
von Schloss Lüdersburg, dessen Angebot
den Autor reizt.
Das Management von Schloss Lüdersburg verspricht
den rund 4,2 Millionen Golf-Interessierten
im Land einen von Fachleuten entwickelten Einstieg
in den Statussport: keine Bange vor zu viel
Zeitaufwand, vor hohen Kosten. Die Strategen von
Schloss Lüdersburg wollen herausgefunden haben,
dass 1,2 Millionen sogar sofort anfangen würden,
wenn nicht so viele Trainerstunden bis zur Platzerlaubnis
fällig wären. Ein ungeheures Potenzial,
gemessen an den derzeit rund 600.000 organisierten
Golfern hier zu Lande. Es verspricht all denen
ein schönes Zubrot, die den einen Wunsch erfüllen
können: günstig zum Green. Aber funktioniert das
auch? Ist es möglich, in siebzehn Stunden zu lernen,
wofür es bisher 30 bis 50 Stunden braucht?
„GOLF IST DIE KOMBINATION VON ANATOMIE UND PHYSIK“, VERKÜNDET DER GOLF-PROFESSIONAL ROBERT DEN WEITEREN SIEBEN BLUTIGEN ANFÄNGERN.
Der Golf-Einsteiger fi ndet sich wieder unter blauem
Märzhimmel zwischen Rhododendren, Apfelallee,
Kirschbäumen und zwischen den Seen. Wie die
schöne Fee im Märchen empfängt ihn Karin Köpcke,
Managerin vom Golfplatz auf Schloss Lüders burg.
Den Lehrer – oder Pro, wie man hier sagt – hat sie
gleich mitgebracht: Robert Walster, dunkelhaarig,
schlank, Züge wie der Modemann Armani, Gehabe
wie ein wohlerzogener Brite. „Ich komme aus England,
wir kennen kein Sie. Wie geht es dir“.
„Golf ist die Kombination von Anatomie und Physik“,
verkündet Robert den weiteren sieben blutigen
Anfängern, die sich zu diesem Kurs am Klubhaus
um ihn versammeln. „Aber meinen Schülern sage
ich immer: Hey, Golf soll Spaß machen. Okay?“
Dann lässt er seine Schüler die Köcher, Bags geheißen,
mit je einem halben Satz, also sechs
Schlägern, aufnehmen – und ab geht es auf den
Old Course, Loch Nummer 10.
Wir lernen die Grundbegriffe des Platzdesigns;
und die Spielregeln: Was tun, wenn der Ball im
„Aus“ ist, wie verfahren, wenn ein Ball verloren
geht? Und dass es keine unspielbaren Bälle gibt:
Bernhard Langer, erzählt Roland, habe es sogar geschafft,
einen Ball aus einer Baumkrone herauszuhauen:
einfach hochgeklettert und zugeschlagen.
Was lernen wir noch? Nicht nur Technik und Regeln,
auch Etikette soll sein. Auf gar keinen Fall
einem anderen durch die Rollbahn des Balls laufen,
werden die Schüler zurechtgewiesen; auch nicht
reden, während der andere sich auf einen Schlag
konzentriert. Deshalb sind – welch schöne Sitte –
Handys auf dem Golfplatz verboten. Disziplin und
Höfl ichkeit sind „Spirit of the Game“.
Grund für derlei Didaktik gibt es genug. Ein Ball
landet auf Nimmerwiedersehen in einer Schlehenhecke,
ein zweiter rauscht knapp über die Köpfe
eines arglos den Platz querenden Golferpaars hinweg.
Das Spiel birgt auch Gefahren, mahnt Robert.
Beim Golfen gebe es mehr Verletzungen als beim
Boxen – und Robert zeigt seine Narben.
Und gleich zur nächsten Lektion, dem Einlochen,
auf Golfi sch „putten“. Das sei wie das Murmelspiel
aus Kindertagen, das Ziel angepeilt und mit genau
dosierter, möglichst geringer Kraft den Ball bewegt,
lehrt Robert.
„Nicht aus dem Handgelenk schlagen“, mahnt er,
als die Kugeln wie Blitze übers Grün hinausschießen,
„einfach die Arme pendeln lassen, denkt an
das Murmelspiel.“
Der zweite Schultag. Und ab geht es auf die Driving
Range zum Pitchen. Aufgabe: den Ball mit einem
7er-Eisen, einer Art verlängertem Schuhlöffel, vom
Fairway in Richtung Green zu schlagen, möglichst
nahe ans Loch. Hört sich einfach an. Aber ach, der
Neu-Golfer versucht – vom Himmel hoch – mit
gewaltig ausgeholten Schwüngen den Ball zu treffen.
Und haut stattdessen Löcher ins Grün oder fette Rasenstücke in die Luft. War da nicht eben noch von Spaß die Rede?
Einsatz für Robert. Die Handhaltung am Schläger
und die Fußstellung korrigiert, den Rücken weiter
gebeugt und, sagt er, auch im Schlag den Blick
auf den Ball gerichtet. Welch eine Verrenkung – du
bist doch kein Fakir. Aber nach drei, vier weiteren
Versuchen und dem Beherzigen der Belehrung gelingen
plötzlich die Schläge. Die Bälle rollen sanft
auf dem Kurzrasen aus, gar nicht so weit vom Ziel
– märchenhaft.
Nach der Mittagspause geht es an die Königsdisziplin:
den Abschlag. Es gilt, den Ball, aufgesetzt
auf einen Gummistutzen, so weit wie möglich vom
Start in Richtung Ziel zu befördern. Driver heißt
das Gerät, mit dem wir das schaffen sollen. Nicht
nur die Form ist ungewöhnlich, auch die Position
des Spielers zum Ball und sein Schwung müssen
sich verändern. Aber verdammte Physik, vermaledeite
Anatomie – wie kriegt man das hin?
Vor dir eine fl ache Wiese mit 100-Meter-Markierung,
die wird man ja wohl schaffen. Den Ball
scharf ins Auge gefasst, mit großer Geste weit ausgeholt
und dann mit Kawumm zugeschlagen. Die
linke Hand durchzuckt ein Schmerz. Der Blick
nach einem in die Ferne fl iegenden Ball geht ins
Leere. Die verhexte Kugel kullert über den Rasen,
gerade mal drei Meter weit.
Sie stehen aber auch wie Quasimodo“, bemerkt
der Lehrer spitz. „Darf ich?“ Und Roland nimmt
Maß an seinem Golf-Eleven. Mit beiden Händen
rückt er dessen Hüfthaltung zurecht, weist Armen
und Händen den Weg, biegt an den Beinen herum,
bis auch das Becken nach- und die rechte Ferse
ihre Bodenhaftung aufgibt. Nach der Bewegungsübung
gelingen dann doch einige Schläge, landet
der Ball irgendwo zwischen 100 und 150 Metern.
Demut und Dankbarkeit beschleichen den Lehrling,
doch für hehre Gefühle bleibt keine Zeit. Zum Ende
des zweiten Tages geht es – unvorstellbar in
herkömmlichen Golfkursen – bereits auf den Platz:
erste Berührung mit der rauen Wirklichkeit.
Begierig auf die Erprobung des Gelernten, hasten
Schüler und Lehrer zum Abschlag von Loch eins.
Für Herren misst die Bahn 288 Meter, ein Par vier,
was so viel heißt wie: Profi s brauchen im Schnitt
vier Schläge zum Ziel. Vier Schläge, oh Mann.
Das Grün samt Fahne liegt weit hinter Bäumen
verborgen. Batzenweise fliegen die Grassoden, reihenweise fegen die Bälle ins Buschwerk. Der Autor
braucht acht Schläge, seine Partner weniger.
Blamabel.
Doch siehe: Beim zweiten Loch, nach ein paar
Tipps und Hilfen von Golf-Zauberer Robert – „die
Knie beugen, den Hintern hoch, hey“ – sieht die
Welt schon anders aus. Nach vier bis sieben Schlägen
haben die Anfänger die 233 Meter überwunden
und ihre Bälle im Loch – und nach zwei Stunden
tatsächlich den Parcours absolviert. Sicher, an den
Händen hat der Autor Schwielen, die Arme sind
schwer wie Gewichte; durch das Hirn aber wabern
– Freude, schöner Götterfunke – die Endorphine.
Prüfungstag: Schultergelenke und Oberschenkel
schmerzen, Raureif hängt über dem Platz. Die
schriftliche Prüfung fi ndet – zum Glück – in der
warmen Stube des Clubheims statt. Alle bestehen.
Es folgt der praktische Teil: Ein paar Lockerungsübungen
auf der Driving Range, dann geht es los.
Je vier Schüler, ausgerüstet mit halbem Schlägersatz
und Scorecard, in der die Anzahl der Schläge
pro Loch notiert werden, machen sich auf den Weg:
Eine Vier-Loch-Runde, zu spielen in zwei Stunden,
zwischen lauter Könnern, die das Treiben der Neulinge
mal wohlwollend, mal voller Mitleid beäugen.
Nachmittags nur noch Kleinkram: Schläge aus dem
Bunker etwa, jenen sandgefüllten Gruben, die als
Hin dernis die Bahn verbauen. Und am Ende ein Zeugnis,
das für 239 Euro den Erwerb einer Plastikkarte
erlaubt: den Zutritt zu den Plätzen in Deutschland.
Dazu ein paar gewählte Abschiedsworte von Roland
Walster und Karin Köpcke. Anatomie und Physik.
Vielleicht hätten sie sagen sollen: „Golfen ist die
ideale Kombination, hey, um Gefühl und Körperkalkulation
zu schulen, ein Fest der Sinne unter freiem
Himmel. Golf ist eben nicht nur Sport, sondern
Lifestyle, Lebens anschauung, Passion, Besessenheit
und das einzige „nicht chemische Halluzinogen“,
wie Updike sagt. Golf ist einfach geil.
Immerhin: Zehn- oder dreizehn Mal gelangen mir
Abschläge, bei denen ich einen Hauch dessen, was
man ja wohl Golffaszination nennt, zu erhaschen
geglaubt hatte. Da gab der Ball ein sattes „Klock“
von sich, stieg in einer nach innen gekrümmten
Linie hoch auf, verweilte eine atemberaubende
Sekunde am oberen Kulminationspunkt, als wolle
er niemals wieder herunterkommen, und ließ mein
Herz himmelhoch jauchzend höher schlagen. Golfer
wissen wahrscheinlich viel besser als ich, was gemeint
ist. (ra)
FOTOS: ENNO FRIEDRICH
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