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Stadt, Land, Mumbai

geschrieben von Katerine Engstfeld im Februar 2013

Indien ist nicht gleich Indien – eine Reise in den Westen

Max Müller war nie in Indien. Er hat es nicht in diese weit entfernte Ecke der Erde geschafft, die zu seiner Zeit in erster Linie Abenteurer, Idealisten und Händler anzog. Bemerkenswert ist Max Müllers Fernbleiben dennoch, denn er hat über Indien geschrieben; mehr als Karl May über die Indianer Amerikas. Er übersetzte altindische Schriften aus dem Sanskrit und kommentierte sie zeit seines Lebens, bis er 1900 in Oxford starb. In Indien ist er daher so populär, dass das Goethe-Institut dort offiziell unter dem Namen „Max Mueller Bhavan“ firmiert. Aber der Religions- und Sprachwissenschaftler war nie in die englische Kolonie gereist, obwohl er im Auftrag der Ostindischen Handelsgesellschaft forschte. Das machen Kulturwissenschaftler heute anders und Touristen können das Land der 1.000 Gesichter verhältnismäßig mühelos bereisen. Die Frage lautet nur: Wo anfangen auf einem Subkontinent mit 28 Bundesstaaten, sieben exterritorialen Gebieten und 23 offiziellen Amtssprachen?

Beliebt ist der Norden mit der Hauptstadt Neu-­Delhi, dem berühmten Grabmal Taj Mahal, dem heiligen Fluss Ganges sowie vielen anderen Sehenswürdigkeiten. Hier überdauert aber auch das Kastensystem am hartnäckigsten und die sozialen Probleme gaben in den vergangenen Wochen Ausschlag für viele negative Schlagzeilen. Der grüne Süden dagegen ist friedlicher; in Kerala beispielsweise floriert die Landwirtschaft und der Tourismus. Keralas Natur und Sandstrände sowie eine ausgeprägte Wellnesskultur mit ayurvedischer Küche bieten beste Voraussetzungen für eine funktionierenden Fremdenverkehr. Um einen Einblick in die Vielfalt einer sich zur modernen Industrienation wandelnden alten Kulturnation zu erhalten, eignet sich allerdings der mittlere Westen am besten. Bekannt ist hier seit den 1960er Jahren vor allem Goa, der kleinste Bundesstaat Indiens. Der Pilgerort für Hippies und Liebhaber extatischer Strandfeten liegt rund 600 km südlich der Riesenmetropole Mumbai. In dieser Stadt, die knapp 20 Millionen Einwohner zählt, lernt man das moderne Indien kennen – mit einer regen Kunst­szene inmitten kolonialer Gebäude, Wolkenkratzern, Slums und alten Tempeln.

„Auf den ersten Blick ist die Stadt ein riesiges Chaos“, erzählt Professor Massimiliano Nuccio. Die überwältigende Vielfalt und Nähe unterschiedlichster Lebensstile lasse die einzigartige und wahrhaft multikulturelle Textur der Stadt als etwas Undurchdringliches und Strukturloses erscheinen. Mit Studierenden der Leuphana Universität untersuchte er unter anderem Kunstprojekte, die zur Stadtentwicklung Mumbais beitragen wollen. Nach halbjähriger Vorbereitung brach das Seminar zu einer Studientour auf. In kleinen Gruppen haben sie 40 Architekten, Galeristinnen, Künstlerinnen, Filmemacher und Kulturstätten aufgesucht, die ihnen von der Stadt, ihrem Kunstverständnis und dem sozialen Auftrag berichteten. Normalerweise unterstützt der indische Staat Kulturschaffende wenig bis gar nicht; Kunst ist elitär, das heißt: Mehrheitlich kommen die Künstler aus wohlhabenden Familien. Das erste Museum Indiens, das von einer öffentlich-privaten Partnerschaft getragen wird, ist das frisch restaurierte Dr. Bhau Daji Lad Mumbai City, wo auf einer Etage die Stadtgeschichte, in den unteren Räumlichkeiten aber Werke von Absolventen des Sir J. J. Institute of Applied Art und englischer sowie deutscher Künstler ausgestellt werden.

Allein die Räumlichkeiten des 1855 von Lord Elphinstone als Victoria and Albert Museum gegründeten „Schatzhaus für Kunsthandwerk und Industriedesign“ lohnen den Besuch. Da es sonst nicht weit her ist mit öffentlichen Einrichtungen, ist die Bereitschaft der Kulturschaffenden, sich mit Interessierten zu treffen, erwähnenswert. Für Europäer vielleicht überraschend, sind selbst international erfolgreiche Künstlerinnen wie Tejal Shah und Navjot Altaf offen für direkten Kontakt, laden zu sich nach Hause zum gemeinsamen Essen ein. Diese Offenheit und Kontaktfreudigkeit ist überall in Bombay – wie seine Einwohner sagen – gegenwärtig. Obwohl es laut, pulsierend, menschen­überfüllt und voller Wider­sprüche ist, sind die Begegnungen mit den Menschen von Respekt und Aufgeschlossenheit geprägt. Selbst in den Slums braucht man keine Scheu vor Kontakt haben; sie liegen meist neben gut sozialisierten Bezirken und die Durchmischung, die Nachbarschaft von Arm und Reich, funktioniert.

Zumindest ist Mumbai im Vergleich zu Metropolen wie Johannisburg, Sao Paolo und Mexico City ein sicheres Pflaster. In die Slums können geführte Touren gebucht werden, die verbunden mit Architektur- oder Kunstprojekten einen regen Einblick in den Alltag der Bewohner geben. Wer es gerne etwas bürgerlicher angehen möchte, hält sich zunächst an den Stadtteil der Touristen, ­Colaba, wo Luxusgeschäfte, das Taj Mahal Hotel, Galerien und die Künstlerbar ­Gokul angesiedelt sind. Dort findet man garantiert einen kompetenten Guide, der eine individuelle Entdeckungsreise organisiert.(ke)

Weiterführende Informationen zu Kunstprojekten in Mumbai finden sich unter http://mumbaistudytour2012.blogspot.de

Wir danken Professor Nuccio, Svenja Jäger und Mara Kölmel für die Informationen sowie Heike Leiacker und Robert Peper für die Bereitstellung ihrer Fotoarchive.

Fotos: Heike Leiacker, Robert Peper