Motorradsport für Generationen
geschrieben von André Pluskwa im Juni 2012Manfred Westermann, Jahrgang 1930, ist der älteste Trial-Aktivist Deutschlands

Wissen Sie, was den eigentlichen Lohn eines Stadtmagazin-Schreiberlings darstellt? Die Möglichkeit, jeden Monat erneut in Lebenswelten einzutauchen, die einem sonst verborgen blieben.
Man betritt, mitunter nicht ohne Vorbehalte, Neuland und wird oft von ganz unvermuteter Seite überrascht. So auch an einem wechselhaften Tag im Mai, als es den Autoren dieser Zeilen nach Embsen verschlägt, auf das ADAC-Gelände, wo neben allen Aspekten der Fahrsicherheit auch der regionale Motorsport in seinen zahlreichen Ausprägungen zu Hause sind — wie die Anhänger des Motorradtrial.
Zur Erklärung: „Trial“ wird eine Disziplin des Motorradsports genannt, in der es darum geht, mit diesem schwieriges Gelände und Hindernisse zu überwinden, ohne die Füße auf den Boden zu setzen. Dabei ist nicht die Geschwindigkeit entscheidend, sondern vor allem Balance, Körperbeherrschung, Kraft und die genaue Planung des Weges durch den Hindernisabschnitt, die sogenannte Sektion. Es gibt ein Fehlerpunktesystem, so dass sich nach Ende der Durchläufe derjenige der nacheinander startenden Teilnehmer mit der geringsten Fehlerquote gewinnt.
Eine Motorsportart also, in der es nicht einfach nur darum geht, der Schnellste bzw. Erste zu sein und letztlich alles von der Beherrschung und Verlässlichkeit der technischen Bedingungen abhängt. Ganz nebenbei: Auch Mountainbiker fahren Trial. So weit, so gut.
Die eigentliche Besonderheit dieses Nachmittags aber sind meine Gesprächspartner, die aktiven Trial-Fahrer Jochen Löffler, Jahrgang 1940, und Manfred Westermann, Jahrgang 1930. Damit ist der 81-jährige Westermann der älteste Trial-Aktivist Deutschlands. Dass Jochen Löffler und Manfred Westermann in allen Belangen topfit sind, erübrigt sich zu erwähnen. Zwei hellwache Köpfe sitzen mir da gegenüber, spielen sich im Gespräch in herrlichster Weise die Bälle zu, wenn sie mit blitzenden Augen, trockenem Humor und dem Schalk im Nacken aus ihrem Leben als Trial-Künstler erzählen — ein biografiebestimmendes Hobby, das sie seit den 50er Jahren begleitet und sie jung gehalten hat, im Geiste wie körperlich.Ihr sportlicher Ehrgeiz schien dabei immer in gesundem Rahmen zu bleiben, nicht das Gewinnen um jeden Preis geriet in den Vordergrund, sondern der Wettkampfgedanke – das sich Messen, das Ausprobieren der eigenen Fähigkeiten im direkten Vergleich.
Das ist das Besondere am Trial“, erzählt Westermann, „wenn Dir alle dabei zuschauen, wie Du versuchst, eine Sektion zu meistern, dann entscheidet sich in diesem Moment, was du gerade drauf hast. Für Außenstehende sieht das Fahren so leicht aus, dabei steckt da jahrelange Übung dahinter. Versuch einmal auf einer Schräge eine Acht zu fahren und du wirst sehen, wie viel Übung und Konzentration das braucht, selbst mit dem Fahrrad; wie lange es dauert, bis Körpergefühl, Kopf und Balance das dafür notwendige punktgenaue Zusammenspiel gefunden haben. Das ist Artistik, Kopf- und Körperarbeit. Hinzu kommt noch die Beherrschung der Maschine.“
Die Motorräder — natürlich ein Lieblingsthema der Protagonisten dieses Sports und so sehr Spezialthema, wie es die Bretter für die Surfgemeinde, Mischpulte für DJs oder das Innenleben der Rechner für Computer-Nerds sind. Schon mal in so eine Spezi-Runde hinein geraten? Als Laie bleibt man eingedenk fehlenden technischen Verständnisses natürlich außen vor, freut sich aber über Euphorie und Mikrokosmos solidarisch mit, hat man doch eigene Hobbys, die man mit einer Handvoll ähnlich begeisterter Anhänger der eigenen Leidenschaft teilt.
Zu erwähnen ist, dass die technische Entwicklung im Trial natürlich zu immer weiteren Verfeinerungen und mehr Möglichkeiten in Handhabung und Ausführung gesorgt hat. So ist die Veteranen-Klasse entstanden, die mitnichten auf das Alter der Fahrer hindeutet, sondern auf das der Motorräder, die damals für Sport und Straße gleichermaßen verwendet wurden, quasi für den jeweiligen Bedarf, gern auch mit improvisierten Mitteln, umgebaut wurden, derweil die heutigen Trial-Maschinen für den Straßenverkehr nicht zugelassen sind.
Diesbezüglich kann das dynamische Duo Löffler-Westermann natürlich einiges erzählen, haben sie doch alle Veränderungen der Szene aus nächster Nähe mit verfolgt. Auch kennt man sich, fuhr mit alten Größen und neuen Helden. Dass sie dabei den Rest der Welt nicht aus den Augen verlieren, sondern gleichzeitig humorvoll-verschmitzt und bodenständig-geistreich vom Leben an sich erzählen können, macht das Gespräch zu einer weit verzweigten Reise durch das Leben, das eine Sektion der ganz eigenen Art darstellt. In Anbetracht ihrer gemeinsamen Erzählkunst wünscht man sich eine Kamera, möchte dabei einfach mitlaufen lassen und ihre Ausflüge der Welt präsentieren.

So erzählt Westermann die, wäre sie eigens fürs Fernsehen geschrieben worden, als zu unwahrscheinlich abgelehnte Geschichte, wie er und seine erste Verlobte aus den frühen 50er Jahren Anfang dieses Jahrtausends, gut acht Jahre nach dem Tod seiner langjährigen Ehefrau, wieder zueinander fanden. Er und ihr Enkel waren zu jenem Zeitpunkt bereits mehrere Jahre auf den gleichen Trial-Veranstaltungen zugegen. Man mag von Fügung sprechen oder einfach glauben: Der Mann hatte Glück im Leben!
„Das sind für mich die drei Hauptgründe Trial zu fahren“, schließt Westermann an, „einmal das Abschalten, das Aussteigen aus dem Alltag, dann natürlich die körperliche Betätigung, die mit dem Fahren verbunden ist, und zum dritten der Kontakt mit den nachfolgenden Generationen, etwas, das einen ebenfalls jung hält.“ Gerade letzter Punkt ist eine Altersweisheit, die man nicht oft genug hervorheben kann. Umso mehr freut sich der ADAC-Ortsclub, dem die beiden angehören, über Nachwuchs. Denn Trial fahren macht nicht nur Spaß, sondern führt auch zu mehr Sicherheit im Straßenverkehr. Wer seine Maschine in der Sektion beherrscht, weiß auch mit den Unwägbarkeiten auf der Strasse besser umzugehen – womit die Chancen, als Motorradfahrer das Alter von Löffler und Westermann zu erreichen, beträchtlich steigen!(ap)
Infos, Termine, Kontakt:
www.ortsclub-lueneburg.de
Foto: Enno Friedrich

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