Modell-Spielzeug
geschrieben von Rüdiger Albert im Januar 2013WO HANDWERK NOCH GOLDENEN BODEN HAT

Das Kind im Manne spielt gern – diese Einsicht
gehört zu den grundlegenden Kenntnissen
der Anthropologie. Und weil Spielen
heißt, die Welt im Kleinen noch einmal nachzubauen,
um sie um so besser zu verstehen – und
auch ein wenig um sie zu beherrschen –, hocken
Generationen von Vätern zu Weihnachten vor den
Modell-Eisenbahnen ihrer Söhne, die höchstens
beim Gleisbau helfen dürfen. So weit, so bekannt.
Mit Kinderspielzeugen jedoch geben sich
Männer nur noch ungern zufrieden. Schuld daran
ist die allgemeine Prosperität: Sie bringt Modell-
Spielzeuge hervor, die kein Mann in Sohneshände
geben würde, Kostbarkeiten, die nicht ins
Kinderzimmer, sondern in die Vitrine gehören. So
beispielsweise auch den Ferrari im Maßstab 1:1
– der Traum von einem Auto schlechthin. Kostenpunkt:
zwischen 70.000 und 28,5 Millionen Euro.
Nicht jeder, der sich so einen spektakulären
Renner leisten möchte, erhält auch einen, denn
der Commendatore hat gerade mal 40.000 Stück
der rasenden Kunstwerke hinterlassen. Eben davon
profi tiert die Modellbau-Branche. „Wenn
schon nicht in der Garage“, wähnten die Bauherrn,
„dann wenigstens im Wohnzimmer“, und
trösten so die zu kurz gekommenen Ferrari-
Freunde mit einem Modell.
Auch im Maßstab 1:18, also in etwa so lang wie
eine Zigarrenkiste, laufen Enzos Modelle – besonders
sein schnellstes, der F 40 – an der Spitze
mit. Gebaut von Bburago, kostete er vor einigen
Jahren 30 Euro im Laden. Inzwischen ist der
Preis des Bburago-F-40 um etwa das Zehnfache
auf den Preis einer Kiste Champagner gestiegen.
Aber als Modell von Bburago behauptet der rote
Renner lediglich die zweite Stelle in der Begierten-
Skala. Übertroffen wird er von einem Modell,
dessen Original in Zuffenhausen kreiert wurde:
der Porsche 356 B. Der Miniatur-Bolide von
Bburago bringt es bereits auf zwei Kisten Champagner.
Kaum zu glauben, denn die Italiener überschwemmen
mit hohen Aufl agen der Autos en
miniature den Markt. In Italien kosten der F 40
und der 356 B auch heute noch etwa 30 Euro,
daher lässt sich vermuten, dass mit der Leidenschaft
der Modellliebhaber in Deutschland ein
Schweinegeld zu verdienen ist.
UNGESCHRIEBENES GESETZ: DAS MODELL BEDARF DES ORIGINALS, EIN GROSSER BRUDER MUSS GEBAUT WORDEN SEIN.
Ohne Zweifel, die Bburago-Leute bauen phantastisch
gute Modelle, aber zur Kunst werden die
Kleinwagen erst bei Bosica. Für eine Investition
von knapp 2.000 Euro ergattern Sammler einen
handgearbeiteten Formel-I-Rennwagen in Zigarettenlänge,
authentisch minimalisiert: von den
Zünd kerzen bis zu den Armaturen in Stahl und
Kunststoff. Bosica fabriziert für den gut situierten
Sammler. Für Leute mit bescheideneren Ansprüchen
und viel Zeit produziert AMR in Paris
Bausätze so ziemlich aller Autos, die je den Asphalt
befuhren.
Im Modellbau gilt ein ungeschriebenes Gesetz:
Das Modell bedarf des Originals, ein großer Bruder
muss gebaut worden sein. Phantasieprodukte
gelten als geschmacklos. Daran halten sich fast
alle Hersteller. Schuco hingegen modelte ein
Phantasieauto mit 4-Gang-Schaltung, Rückwärtsgang
und Kupplung, integrierte im Blechrenner
ein Federwerk, nannte das Gerät „Examico“
und ging in den Konkurs. Die Firma Mangolt
kaufte die Werkzeuge und brachte eine Neuauflage
des „Examicos“ auf den Markt. Nun konnte
auch er ein Original – den Pleite-Schuco – vorweisen,
und der avancierte prompt zum Kultobjekt.
Dagegen werden Modellschiffe noch recht bescheiden
gehandelt, sie gibt es schon ab zehn
Euro. Sammler und Spekulanten entdecken erst
langsam diese Kleinstschiffe in Daumengröße.
Etwa 20 Herstellern gilt das Verhältnis 1:1.250
als das Maß aller Dinge im Modellschiffsbau –
allesamt Spe zialisten, wie in der Buchhandlung
Wede im Hamburger Hanseviertel zu hören ist.
Der eine baut halt Passagierschiffe, ein anderer
ausschließlich deutsche Frachter; der eine legt
in limitierter Stückzahl auf, der andere gießt, bis
die Gussform bricht.
Bei Wede werden in der Regel Nachbauten noch
laufender Schiffe verkauft: Erinnerungsstücke an eine gelungene Kreuzfahrt auf der „Europa“ oder
ein Atlantik-Crossing auf der QE II.
Großmodelle – vornehmlich Segler und ausnahmslos
Unikate – wechseln selten den Besitzer. Die
Nachfrage lässt noch zu wünschen übrig. Eine
Kos tenfrage? Nein, am Preis kann es nicht liegen.
Die Modelle sind mit bis zu 3.000 Euro erschwinglich.
Miese Verarbeitung? Auch nicht: Bastler gießen
die Kanonen zum Teil gesondert für das Modell,
das sie gerade leimen, sind verliebt ins Detail. Wer
solch ein Meisterwerk in seiner Freizeit bauen
möchte, sollte eine Bauzeit von einem Jahr veranschlagen.
Genauso lange dauert es übrigens, bis
der Pfälzer Michael Benner seine Modelleisenbahnanlage
in HO (1:87, Spurbreite 16,5 mm) aufgebaut
hat. Der Ölkaufmann hat die Anlage von
seinem Vater Ernst übernommen. Im Hause Benner
wird seit langen 58 Jahren gesammelt. Michael
Benner nennt weit über 300 Loks, die er auf etwa
2.000 Schienen – das entspricht einer Runde im
Leichtathletikstadion – in einem 60 qm Zimmer in
Fahrt bringt.
FREAKS BESITZEN MINDESTENS DIE „BIG BOY“, DIE GRÖSSTE LOCK, DIE JE GEBAUT WURDE,ODER DIE „KROKODIL“, DIE ERSTE E-LOK, DIE DIE ALPEN ÜBERQUERTE.

Dennoch ordnet sich Benner lediglich als Amateur
ein. „Richtige Freaks“, weiß er zu berichten, „breiten
ihre Anlage auf der gleichen Grundfl äche, doch in
zwei, drei, mitunter vier Stockwerken aus.“ Und er
besitze weder „Big Boy“, die größte Lock, die je
gebaut wurde oder die „Krokodil“, die erste E-Lok,
die die Alpen überquerte und bei Märklin vor 45
Jahren 250 Mark kostete, noch eine der Geschwindigkeitsrekord-
Loks der dreißiger Jahre („Super
Pacifi c“, „Mallard“ oder die windschnittige „05“er);
ein „Profi modellbahner“ besitze mindestens eine
der genannten Loks – am besten alle, eben auch
das „Krokodil“. Wer diese Raritäten haben möchte,
besucht zum einen eine Modelleisenbahn-Auktion,
zum anderen ist ein geradliniges, ungestörtes Verhältnis
zum Geld erforderlich. Eine „Krokodil“ erzielt
zum Beispiel auf Auktionen locker über 20.000 Euro.
Exklusiv wird der Modellbahnbau in Nenngröße I
(1:32, Spurbreite 45 mm). In dieser Klasse brillierten
dereinst Markscheffel & Lennarz, die Hamburger
Händler und Hersteller feinster Modelleisenbahnartikel.
Sämtliche Einzelteile der Loks von
Markscheffel & Lennarz wurden minuziös von Hand
gedreht, gefräst, gelötet und zusammengeschraubt.
Jede Serie bestand aus 30 Exemplaren. Die Firma
gab 2002 ihren Geist auf, aber ihre Modelle tauchen
ab und an auf Auktionen auf. Für den bescheidenen
Preis eines Kleinwagens können Sie mitbieten.
In einer ähnlichen Preisklasse bewegen sich auch
die Produkte der Firma „Oktant“ mit Sitz in Hannover
– ein einzigartiger Laden in Deutschland. Hier
werden Dampfmaschinen-Modelle verkauft. Pro
Jahr werden nur einige wenige Fertigmodelle hergestellt.
Die erwerben vornehmlich Sammler mit
spekulativem Interesse: Sie hoffen auf die schnelle
Mark. So trügerisch dürfte ihre Hoffnung nicht sein.
Hauptsächlich verkauft Oktant aber Rohsätze für
ein- und zweizylindrige Dampfmaschinen an engagierte
Hobbyisten. Ihr Steckenpferd besteht darin,
dass sie ihre Maschinen an der Drehbank zu Hause
drehen. Womöglich am Wochenende?
Genau an dieser Stelle wittert der ein oder andere
Nörgler ein Problem und tippt auf die Kleinanzeige
einer Modellbau-Gazette: „Arzt und Modellbauer,
33 Jahre, 185 cm, sucht liebe und zärtliche Sie
mit Sinn für sein Hobby. Bitte mit Bild und Tel.
Chiffre.“ „Die Mädels vernachlässigen, das rächt
sich.“ Wo er Recht hat, hat er Recht, der Nörgler.
Trotzdem: dann und wann angelt sich vielleicht
jemand über eine Anzeige ein Original, nicht minder
kostspielig und mindestens so zeitaufwendig
wie die Zeugen der Modell-Leidenschaft. (ra)
FOTO: FOTOLIA.COM © KRAMOGRAFIE
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