Wirtschaftsfaktor und Wahrzeichen
geschrieben von André Pluskwa im Juli 2011DER ALTE KRAN IM WASSERVIERTEL IM WANDEL DER JAHRHUNDERTE
ede Stadt hat ihre Wahrzeichen. Den meisten kulturellen Artefakten, die heutzutage in untrennbarer Art mit ihrer Stadt verknüpft sind, ist seitens ihrer Erbauer und Schöpfer ihr repräsentativer Charakter ganz bewusst mit in die Wiege gelegt worden – man denke an den Pariser Eiffelturm oder die Freiheitsstatue in New York City. Dann gibt es aber auch die heimlichen, inoffiziellen Wahrzeichen — Orte, Gebäude, Plätze, die ihre Berühmtheit bestimmten Vorkommnissen zu verdanken haben. Manchmal reicht gar ihre bloße, oft viele Generationen überdauernde Existenz, die das Stadtbild und die Menschen prägen. Der Alte Kran im Lüneburger Wasserviertel ist so ein Wahrzeichen. Wer seiner originären Erschaffer hätte sich je träumen lassen, dass heute, nach rund 700 Jahren, ein Hebewerkzeug auf Postkarten, als stilisiertes T-Shirt-Motiv oder auf Kaffeebechern stellvertretend für die Stadt Lüneburg von Tausenden Touristen jährlich in die weite Welt hinaus getragen wird? Dass die Besichtigung seines Innern gar zum „Must-Do“ in internationalen Reiseführern, in denen der Kran gleichwertig neben den Lüneburger Kirchen und den anderen Kulturgütern unserer Region Erwähnung findet, gekürt werden würde?
räne sind eine auf der Entdeckung der Hebelwirkung basierende technische Errungenschaft, deren älteste Dokumentationen sich bis in das antike Griechenland zurückverfolgen lassen. Dort finden sich erste Spuren auf die Verwendung von Kränen beim Bau von Tempeln, wo Seilwinde und Flaschenzug die Rampe als Hilfe zur Bewegung schwerer Güter und Materialien abgelöst hatten. Im römischen Reich wurde das Prinzip des Krans weiter entwickelt, was sich bis ins frühe Mittelalter fortsetzte; in dieser Epoche setzte dann auch die Verwendung von Tretradkränen wie dem unseren ein. Auch der Begriff „Kran“ ist dem Griechischen entlehnt und hat seinen Wortstamm im „Kranich“, dem Vogel, an den sich die Menschen einst beim Anblick von Kränen wohl erinnert fühlten.

Seine erste schriftliche Manifestation erfährt der Lüneburger Kran im Jahre 1330 in einer Kämmereirechnung — in diesem Jahr wurde der Kran geteert —, über die Jahrhunderte wurde das Gerät allerdings immer wieder um- und ausgebaut; 1795, nach einem Hochwasser mit Eisgang, entdeckte der Bau-Conducteur Kruse im angebrochenen Kopf des Kranes eine „Bleyerne Kugel“, in der sich ein Pergament befand. Diese heutzutage im Stadtarchiv befindliche Inschrift wurde vom „weyl. Secretario“ Johann Hinr. Büttner verfasst und enthält Renovierungs- und Reparaturdaten des Krans. Das früheste dort erwähnte Datum ist das Jahr 1379, es folgen 1438, 1537, 1661 und als letzter Renovierungszeitraum das Jahr 1718. Der Kran, wie wir ihn heute kennen, findet seinen Ursprung im Jahre 1797 und ist seitdem kaum verändert worden. Er ist aus tragendem Holzfachwerk errichtet, mit Brettern verkleidet, und die Dachflächen wurden mit Kupferplatten gedeckt. Während der untere Teil mit einem Durchmesser von acht Metern fest steht, ist der mit dem Kranausleger versehene obere Teil drehbar gelagert, ähnlich wie es bei Windmühlen in Holland der Fall ist. Als Gegengewicht beim Heben dienen vier Sandsteinblöcke, wovon einer etwa 200 Kilo wiegt. Das Tretrad wurde seinerzeit von sechs Häftlingen bedient, deren Verwendung nahelegt, dass man sich die Tätigkeit als eine schweisstreibende Knochenarbeit vorzustellen hat.
Gehoben wurden über die Jahrhunderte Güter der verschiedensten Art. Ob Brennholz oder Salz, für die Umladung von Land zu Wasser oder umgekehrt wurde der Kran unentbehrlich — die unmittelbare Nähe zum Alten Kaufhaus, damals noch „Heringshaus“, macht es deutlich. Entsprechend waren die „Großen Träger“, die Kaufleute, für den Kran verantwortlich. Die 1. Kaufhausordnung von 1578 setzte die Krannutzungskosten fest, ein Posten, der nicht wenig lukrativ war, wurden die Kraneinkünfte doch zur Deckung von Zinsen verwandt.
Eine erste berühmte Umladeaktion des Kranes fand bereits 1531 statt: Nachdem die St. Marienkirche in Uelzen ihre Turmuhr verkauft und in der nahen Hansestadt Hamburg eine neue geordert hatte, wurde die alte Uhr bis nach Lüneburg verschifft, dort vom Kran an Land gehievt und auf Frachtwagen verladen. Seine schwerste Last aber versinnbildlicht auch den Niedergang der wirtschaftlichen Bedeutung seines Standorts: Am 13. August 1840 hob der Kran eine Dampflokomotive für die Herzoglich Braunschweigische Staatseisenbahn, die in England von George Forrester & Company gebaut und auf dem Wasserweg nach Deutschland transportiert worden war. Das Gewicht der Lok wurde auf 9000 Kilogramm geschätzt. Zum Drehen des Tretrades wurde dabei die Kraft von 38 Menschen benötigt. Als Belastungstest wurde vorher ein Paket mit 80 Eisenbahnschienen mit etwa 20.000 Pfund Gewicht angehoben; zwei Jahre zuvor hatte der Kran bereits eine leichtere Lok mit etwa 14.000 Pfund gehoben. Mit dem Bau der Eisenbahnlinie Hamburg-Hannover, die 1847 Lüneburg erreichte, verlagerte sich der Warentransport von und nach Lüneburg binnen kurzer Zeit vom Binnenwasserweg auf die Schiene. In der Folge verloren der Hafen und somit auch der Kran rapide an Bedeutung. Im Jahre 1860 stellte der technisch intakte Kran aus wirtschaftlichen Gründen seinen Betrieb ein.
Statt aber ein Dasein des Verfalls fristen zu müssen, geschah ein kleines Wunder und der Kran wurde für Lüneburg das, was der Eiffelturm für Paris und die Freiheitsstatue für New York City ist: ein Wahrzeichen — das zwar in seiner Größe und Opulenz nicht mithalten kann mit den bemühten Vergleichen, dafür aber eine wesentlich längere Historie und Verquickung mit den wirtschaftlichen Bedingungen und Veränderungen seines Standortes vorweisen kann, und so gesehen doch viel mehr zu bieten hat als so manch anderer Wahrzeichen-Kollege!(ap)
Besichtigungsanfragen:
Lüneburg Marketing GmbH
Rathaus / Am Markt
21335 Lüneburg
Tel.: (04131) 207 66-20
Quellen: Wikipedia, Dr. Edgar Ring:
http://www.lueneburger-geschichte.de/baugeschichte/kran/kran2.html
Hansjörg Rümelin: Das Hafenviertel. Zur topographischen und sozialräumlichen Entwicklung eines Lüneburger Stadtteils, Werner H. Preuß: Das Lüneburger Wasserviertel
Fotos: Sammlung Hajo Boldt
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