Frisches von der Stange
geschrieben von Rüdiger Albert im Mai 2011FAST SCHEINT ES, ER WÜRDE ZART ERRÖTEN, SOBALD ER DAS LICHT ERBLICKT UND HÖRT, WAS IHM LUSTVOLLESNACHGESAGT WIRD – DENN DER SPARGEL IST IN JEDER HINSICHT EIN KÖNIGLICHES GEMÜSE
Weiß, schlank und knackig, zart-aromatisch
mit leichter Süße, saftig und auf
der Zunge zart schmelzend – die Sprossen
des Asparagus offi cinalis sind die erste kulinarische
Verführung des Gemüsejahres. Wie bitte?
Sie haben in den letzten Tagen weniger als 1,4 Kilogramm
Spargel gegessen? Okay, denn das ist ja
bloß der durchschnittliche Pro-Kopf-Verbrauch in
Deutschland über das ganze Jahr verteilt — Kinder,
Greise und Spargelverächter mitgezählt. Und irgendwer
muss ja auch weniger essen, damit sich bekennende
Spargelenthusiasten 1,4 Kilogramm
einverleiben können – pro Mahlzeit, versteht sich.
Auch medizinisch wird das Gemüse gern überschätzt:
Eine Spargelüberdosis führt trotz der angeblich
entwässernden Wirkung am Ende eines
aufopferungsvollen zweimonatigen Selbstversuches
noch nicht mal zu einem Hauch von Gewichtsverlust.
Doppelt schade, denn dreimal die Woche 1,4
Kilogramm Spargel essen bedeutet ja auch, dreimal
die Woche nichts anderes essen zu können.
Schon früh erkannten die Römer, welch köstliche Delikatesse über den
Winter unter der Erde heranreift. Der Gelehrte Plinius nannte sie überschwänglich
eine Schmeichelei des Gaumens. Gepriesen als göttliche
Speise, durfte sie bei keinem Festgelage fehlen und wurde rasch zu einem
teueren Leckerbissen, den sich nur Wohlhabende leisten konnten.

„ES KANN NUR KOCHEN, DEM ES GELINGT, SPARGEL OHNE JEDEZUTAT IN WONNIGSTER VOLLENDUNG AUFZUTISCHEN“
Augustus, ein großer Liebhaber der strammen Stangen, versah dringliche Befehle mit dem Hinweis: „Citius quam asparagi coquantur“, was besagte, die Order sollte „schneller als der Spargel zum Kochen braucht“ ausgeführt werden. Womit wir auch schon bei der Frage wären, wie der perfekt gekochte Spargel seinerzeit aufgetragen wurde. Dem Feldherrn und Gourmet Lucullus wird der Satz zugeschrieben: „Es kann nur kochen, dem es gelingt, Spargel ohne jede Zutat in wonnigster Vollendung aufzutischen“. Daran hat sich bis heute wenig geändert, meinen zumindest Spargelliebhaber und pochen auf Zubereitungsarten, die dem Spargel seinen unvergleichlichen Eigengeschmack lassen – Hauptgeschmacksgeber ist neben der Sorte der Boden. Je schwerer, das heißt humusreicher, des to intensiver ist der Spargelgeschmack. Seit Spargel unter Folie gezogen wird, gelingt seine Kultivierung nicht nur auf sandigen Böden, sondern auch auf den schweren Löss-Lehmböden. Das Resultat kann sich durchaus sehen und schmecken lassen. Wer sein Spargel-Geld gut anlegen möchte, kommt jedoch um ein paar Regeln nicht herum. Als Faustregel gilt: je frischer der Spargel, desto besser der Geschmack. Der Spargel sollte Handelsklasse „Extra“ oder „Klasse 1 Super“ sein; absolut gerade gewachsen, feste Köpfe, allenfalls minimale rötlich/violette Verfärbung am Kopf, mindestens 15 Millimeter Dicke, maximal 22 Zentimeter Länge haben. Frische Ware erkennt man an dicht geschlossenen Köpfen, glatter Haut und festen Stangen. Saftige Enden oder Quietschen beim Aneinanderreiben sind leider keine sicheren Frische-Indikatoren, denn der ein oder andere Händler hilft schon mal durch Nachschneiden der Enden und regelmäßige Befeuchtung aus der Sprühfl asche nach. Bei wenigen Gemüsen kann man in der Küche so viele Fehler machen wie beim Asparagus, doch die muss jeder Koch selber bereinigen. Hier nur ein Hinweis: Dieser schmale, hohe Spargeltopf, teuer und superschick – aber seltsamerweise werden die zarten Spargelköpfe, die aus dem Kochwasser herausragen, matschig, während die Stangen korrekt garen. Kein Wunder: Wasserdampf ist nun mal heißer als kochendes Wasser. Rezepte gibt es dagegen zuhauf. Die Diskussion über die ideale Zubereitungsform des Edelgemüses ist eine endlose und dauert schon länger – Spargeldarstellungen fanden sich schon in Grabkammern ägyptischer Könige. Aber wenn der Spargel auf dem Teller bitter schmeckt, ist nicht immer der Koch schuld. Manchmal herrscht trotz Zucker im Kochwasser, korrekten Schälens und ungeiziger Kürzung der Enden Bitterkeit bei Tische. Meist ist der Bauer der Übeltäter, denn Spargel, der zu nah am Wurzelholz gestochen wurde, ist und bleibt ungenießbar.
WER DEN PREIS VON EINEM ODER ZWEI KILO SPARGEL NOCH ÜBRIG HAT, TUT SICH (UND SEINEN GÄSTEN) GUTES, WENN ER WEIN ZUM SPARGEL TRINKT.
Wer den Preis von ein oder zwei Kilo Spargel noch übrig
hat, tut sich (und seinen Gästen) Gutes, wenn er Wein
zum Spargel trinkt. Ein dezenter rheinhessischer Silvaner
beispielsweise begleitet wunderbar Spargelgerichte,
die auf würzige Beilagen verzichten und den Spargel
mit Butter oder ganz mediterran mit Olivenöl und Kartoffeln
zubereiten. Wer Spargel gerne in Gesellschaft
von Garnelen und Scampi genießt, sollte auf eine eher
milde Zubereitung der Krustentiere achten, damit das
delikate Spargelaroma nicht überdeckt wird. Als Wein
empfielt sich dazu beispielsweise ein feinfruchtiger
Rivaner von der Nahe.
Wer dem Spargel einmal verfallen ist, dem gehen die
kulinarischen Ideen nie aus. Und dann ist da auch noch
die Hoffnung auf die höchst vergnüglichen (aphrodisierenden)
Nebenwirkungen – auch wenn sich diese Verheißungen
vor allem im Kopf abspielen. Genuss hat
eben immer auch etwas mit dem Verstand zu tun. (ra)
FOTO: FOTOLIA.COM ©GANDOLF
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