Magazin über das Leben in Lüneburg
Themen
Alle Themen und Artikel

Rogen für Reiche

geschrieben von Rüdiger Albert im April 2012

Kaviar vom wilden Stör ist selten und teuer. So erlebt der einst sprichwörtliche Buchtitel von Johannes Mario Simmel nach vielen Jahren eine unerwartete Neuauflage: Es muss nicht immer Kaviar sein!

Wer nach der Champagner-Devise lebt: „Billig können wir uns nicht leisten, Geld spielt keine Rolle — schon gar nicht beim Essen“, kann auch Pech haben oder muss sich zumindest in Geduld üben. Handwerklich erzeugte Lebensmittel mit Kultstatus brauchen wie die Edelbrause von der Marne Zeit. Und dann wird kräftig hingelangt, wie auch beim sagenumwobenen Kobe-Beef. Das Rindvieh wird mit Bier verwöhnt und von geschulten Händen massiert. Das Fleisch erscheint dann fein fettmarmoriert und so zart auf dem Teller, dass man es mit der Gabel teilen kann. Bis zu tausend Euro pro Kilo kostet der Spaß für ein Rumpsteak. Zum Genuss dieser Delikatesse muss der Begierige freilich nach Japan fliegen; in Deutschland gibt es diese Rindfleischqualität nicht. Kostspielig kann es aber auch hierzulande werden.
Den Höhepunkt bildete in der kulinarischen Preisgestaltung unangefochten „Almas“-Kaviar in goldener Farbe. Die Kaviarauslese kostete mindestens 30.000 Euro pro Kilogramm, mit kurzfris­tigen Preissteigerungen muss freilich gerechnet werden. Für den einen oder anderen erfolgreichen Bankier sind das natürlich Peanuts. Bezahlt wird aus der Portokasse? Irrtum, erstmal hinten an­stellen, lautete seinerzeit das Credo. Seinerzeit?
Das war im Jahre 2005. Beim „Caviar House“, mit Sitz in Troisdorf-Spich, existierte eine Warteliste, die ständig 12 bis 15 Personen registrierte. Almas-Kaviar ist eine ganz besondere Spezialität, gewonnen aus Belugastören, die mindestens 80 Jahre alt sind. Caviar House füllte davon etwa drei Kilogramm im Jahr ab und präsentierte diese Rarität stilecht in vergoldeten Dosen.

Winzig, aber von hohem kulinarischem und gesellschaftlichem Rang, verkörpert Kaviar – wie kein anderes Lebensmittel – Glamour und Extravaganz. Jahrhunderte lang blieb der Rogen des Störs ausschließlich den privilegierten Höfen Europas vorbehalten. Auch heutzutage ist er nichts für Normalsterbliche – sehr teuer und nur schwer zu bekommen. Rogen aus dem Kaspischen Meer galt als Synonym für Luxus, diente als Aphrodisiakum (vor allem für ältere Herren), eine Vorliebe für Kaviar galt als Beweis eines exklusiven und ausgezeichneten Geschmacks.

Das Kaspische Meer beherbergt 90 Prozent der begehrten Kaviarträger. Störe, diese urtümlichen Tiere mit dem schnabelartigen Maul und den auffälligen Knochenplatten am Körper, gehörten lange Jahre neben dem Öl zu den großen Devisenbringern in der Region. Sie gönnten den Gaumenakrobaten dieser Welt das „schwarze Gold“ des Meeres, wie zuweilen der Rogen der Störe auch bezeichnet wird. Diese Urtiere können mehr als hundert Jahre alt werden, ihre Geschlechtsreife erreichen sie je nach Art zwischen dem 8. und 25. Lebensjahr. Viele von ihnen müssen außerdem zum Ablaichen — ähnlich wie Lachse — fluss­aufwärts wandern. Zur Fortpflanzung und zum Überleben braucht der Fisch einen intakten Lebensraum – doch der wurde seit den neunziger Jahren immer knapper. So vernichteten die Dämme der Wolga 85 Prozent der Laichgründe. Auch die zunehmende Verschmutzung des Wassers dezimierte die Störbestände beträchtlich. Versuche der russischen Behörden die natürlichen Bestände durch Nachzuchten aus Fischfarmen zu vermehren, sind bislang gescheitert. Die Zuchttiere werden fingergroß (einjährig) in die Wolga entlassen und gehen dort ein, aufgrund schädlicher Um­welteinflüsse oder weil sie den Speiseplan ­gieriger Seevögel bereichern.

Mit dem Ende der Sowjetunion fiel nicht nur der Eiserne Vorhang, auch die staatlichen Fang- und Exportkontrollen bei der Kaviarherstellung brachen zusammen. Da Kaviar von Jahr zu Jahr teurer ­wurde, mischten auch mächtige Mafiaorganisa­tionen mit und übernahmen in vielen Gebieten rund um das Kaspische Meer die eigentliche Kontrolle über die Fischereianlagen.


Der legale, offizielle Export der UdSSR lag noch im Jahre 1991 bei zirka 80 Tonnen hochwertigen Kaviars, der des Irans bei maximal 200 Tonnen, China exportierte 10 Tonnen. Der Gesamtverbrauch der westlichen Welt wurde auf 455 Tonnen geschätzt, etwa 165 Tonnen stammten aus illegalen Quellen und überlagerten Kaviarbeständen, also mehr als ein Drittel. Das Handelshaus Dieckmann & Hansen vermarktete bis in die neunziger Jahre „etwa 50 Tonnen Edelrogen jährlich, hauptsächlich aus russischen Beständen“, erinnert sich Chris­tian Zuther-Grauerholz. Dann musste sich das älteste Kaviar-Handelshaus der Welt (seit 1889) mit „rund fünf Tonnen“, wie der Geschäftsführer Zuther-Grauerholz schätzt, „begnügen“.

Legaler und qualitativ hochwertiger Kaviar wurde also immer knapper. Der World Wildlife Fund for Nature (WWF) stellte schon 1997 fest, dass zwischen 50 und 90 Prozent des Störrogens, der in Westeuropa auf den Markt kam, aus illegalen Fängen stammte. Daraufhin schützte die Artenschutzkonferenz in Harare alle 25 Störarten als auch die beiden Löffelstöre aus Nordamerika. Als tatsächlich in ihrem Bestand bedroht gelten sechs. Man wollte verhindern, dass skrupellose Händler den Kaviar von gefährdeten Arten wie Beluga, dem russischen Stör (Osietra) oder dem Sternhausen (Sevruga) falsch deklarieren, denn nur diese Arten liefern den bei Feinschmeckern begehrten Kaviar. Damit nicht genug: Um die bedrohten Störe vor dem Aussterben zu bewahren, legte die der UNO unterstellte Artenschutzkonvention Cites (Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Fauna and Flora) seit 2001 jährliche Quoten für den Kaviarexport in die westliche Welt fest. Grundlage dieser ­Quoten sollten Zählungen über die Größe der Stör­bestände sein, zu denen sich die Anrainerstaaten des Kaspischen Meeres verpflichtet hatten. Daraus wurde zunächst nichts, Berichte lagen nicht vor. Die Naturschutzbehörden vermissten insbesondere die Fangmeldungen aus der russischen Förderation. Erst im Jahre 2008 wurde den Anrainern der Ernst der Lage bewusst. Resultat: gänzliche Einstellung der Wildfänge. Die Handelshäuser haben folglich seit zwei Jahren kein Gramm Kaviar vom Kaspischen Meer gesehen. Allein die Zollfandung und einige Unverbesserliche wurden fündig.

Kaviar-Liebhaber werden schmachten müssen, sollten sie Edelrogen vom Kaspischen Meer begehren – es sei denn, sie steigen um auf Kaviar aus Zuchtbeständen so wie Ahmad Ardabili, Chef vom Handelshaus „Caspian Caviar“. Geboren in Baku am Kaspischen Meer, eröffnete Ardabili 1977 seine Kaviar-Importniederlassung in Hamburg. Nun offeriert er Zuchtkaviar wie schon das Handelshaus Dieckmann & Hansen und das ­Caviar House in Troisdorf-Spich.

Seit etwa 30 Jahren gibt es Aquakulturen, die Störe züchten. Und der Kaviar aus solchen Anlagen kommt in der Tat den Geschmacksqualitäten von wildem Kaviar inzwischen sehr nahe – insbesondere dann, wenn sich seriöse Kaviar-Experten wie Zuther-Grauerholz und Ardabili, der extra nach China reiste, um den Chinesen zu zeigen, wie Malossol-Kaviar hergestellt wird, um Herstellung und Vertrieb kümmern. Liebhaber von Almas-­Kaviar haben freilich Pech. Almas aus Zuchtbeständen gibt es nicht und wird es nie geben; in achtzig Jahren vielleicht wieder, dann aber aus dem Kaspischen Meer — wenn gierige Vögel welchen übrig gelassen haben.(ra)

Illustration: fotolia.com © Wolfgang Kraus

Kleine Kaviar-Kunde

Früher war alles viel einfacher: Da gab es drei schwarze und zwei rote Kaviar­sorten. Seine Liebhaber, weniger gut betucht, wählten den roten Lachs- oder Forellenrogen aus europäischen Gewässern. Diejenigen, die es sich leisten konnten, wählten zwischen Beluga, Sevruga und Osietra vom Kaspischen Meer. Doch irgendwann ereilt den Genießer ein visuelles Phänomen: Das Auge isst mit. Seit jener Zeit haben die Fischereien am Kaspischen Meer und die Handelshäuser in der westlichen Welt den Kaviar bezüglich Farbe und Größe unterschiedlich eingestuft. Das Caviar House selektioniert zum Beispiel gleich zwölf verschiedene Kaviars.

Almas: Wird auch „goldener Kaviar“ genannt und war früher für den Schah reserviert. Er stammt vom Albino-Beluga oder von einem mindestens 80 Jahre alten Osietra-Stör; unglaublich leicht im Geschmack, unglaublich auch der Preis
Beluga: Der Kaviar des Beluga-Störs ist silbergrau bis schwarz. Er schmeckt fein und cremig.
Osietra: Der Kaviar des Osietra-Störs ist für Kenner und für Händler eine wahre Spielwiese. Osietra ist die russische Bezeichnung für Stör, so steht es auch auf den Dosen geschrieben. Aber was letztendlich drin ist, ist so klar nicht. Es gibt mindestens drei Möglichkeiten „Acipenser persicus, ­Acipenser gueldenstaedti“ und „Asipenser baeri“. Die beiden ersten Störarten leben im Kaspischen Meer und liefern graubraunen bis gold­farbenen Kaviar. Kenner schätzen diesen Kaviar wegen seines nussigen Geschmacks. „Asipenser Baeri“ oder der Sibirische Stör eignet sich für die Fischzucht. In den frischen und klaren Gewässern seiner Heimat sind die Fische erst nach zwölf bis fünfzehn Jahren laichreif, in der Zucht schon nach vier Jahren. Er liefert schwarzen Kaviar. Er schmeckt elegant und leicht würzig.
Sevruga: Der feinkörnige Kaviar vom Sevruga-Stör ist in der Farbe mittel- bis stahlgrau. Verglichen mit anderen Kaviarsorten schmeckt er besonders ­würzig und kräftig.
Malossol: Malossol ist russisch und heißt „leicht gesalzen“ – nur eben so viel, wie zur Haltbarkeit nötig ist, ohne dass der Eigengeschmack beeinträchtigt wird.

Genuss: Kaviar direkt aus der Dose zu essen ist kein Verstoß gegen die guten Sitten. Unverfälscht bleibt der Geschmack mit Löffeln aus Perlmutt oder Horn. Silber und Edelstahl hingegen verändern das Kaviararoma und verursachen einen fischigen Beigeschmack. Die Größe der Körner hat keinerlei Einfluss auf den Geschmack – nur auf den Preis.
Lagerung: Kaviar kann ungeöffnet im Kühlschrank maximal sechs Wochen ohne Geschmacksverlust lagern. Nach dem Öffnen der Dose muss die ­Ware freilich schnell verbraucht werden.
Qualität: Die Farbe des Kaviars hat keinerlei Einfluss auf seinen Geschmack. Frischer Malossol-Kaviar glänzt wie ein Spiegel und riecht nach fast nichts. Die Körner müssen sich leicht voneinander lösen. Schmeckt das Edelprodukt bitter, säuerlich oder gar nach Fisch, ist es hinfällig.