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Nüssegenüsse

geschrieben im November 2012

Auf eine Karriere ohne Gleichen kann die Haselnuss zurückblicken. Wer hätte gedacht, dass die Schwarzbraune nun auch noch bei der holden Weiblichkeit reüssiert: als Haselnussgeist

Das Thema gehört zur Alltagskultur, zumindest beim Frühstück: Darf man beim Brötchen mit Nutella Butter unter die Nougatmasse schmieren? Eine Hälfte der Kulturmampfenden sagt: Unbedingt, Butterfett sei schließlich Geschmacksträger. Die andere reagiert mit einem rigorosen: Nein, Nutella genüge sich selbst.

Das anregende Geplänkel ist seit 1965 im Gange, der Clan der Ferreros aus dem piemontesischen Alba lancierte Nutella auf dem deutschen Markt. Eine Erfolgsgeschichte ohnegleichen. Der Brotaufstrich wurde zum Klassiker des Frühstücksgeschäfts, tiefbraun, zuckerreich und kalorienschwer. Die Ferreros wurden so zur reichsten Familie Italiens — und das ganz ohne Butter.

Nutella erinnert in Konsistenz und Geschmack an Nougat. Die Creme besteht aus Zucker, Pflanzenöl, Kakao, Milchpulver, Sojalecithin, Vanillin und hat einen gerösteten Haselnussanteil von gerade mal 13 Prozent. Geschmack? Süß, cremig, nussig. Und genau dieses Geschmacksbild sorgt zurzeit für Furore: bei den Edelbrennern an Main, Mosel und Rhein. Glaubt man den Verkaufszahlen der Schnapsbrenner und Destillateure, ist Haselnussgeist die Modespirituose schlechthin. Geröstete und gemahlene, beziehungsweise gehackte Haselnüsse werden zur Herstellung des Haselnussgetränks in Alkohol eingelegt und später destilliert. Ein Kaleidoskop ganz ungeahnter Aromanuancen wartet dann im Glas: geröstete Haselnuss-, aber auch Nougat-, Karamell- und Schokoladennoten sind wahrzunehmen. Wie Nutella eben.

Der Karriere der Nuss im Kupferkessel begann 1996 im fränkischen Mömbris bei Aschaffenburg. Der gelernte Schreiner und praktizierende Zimmer­mann Arno Dirker tauschte Hammer und Hobel mit dem Brennkessel. Kein Baum, kein Strauch ist seither vor ihm sicher. Er destilliert Edelschnäpse aus jeder erheischbaren Frucht, so auch aus Steinpilzen und Spargel; und so experimentierte Dirker auch mit der Frucht des Haselnussstrauchs. Nach einigen Fehlversuchen — „das Haselnussaroma wollte einfach nicht ins Destillat“ — bat er Ingo Holland um Rat. Der ehemalige Sternekoch riet ihm, die Haselnüsse zu rösten, denn erst im gerösteten Zustand komme das Aroma voll zur Entfaltung.

rno Dirker präparierte also die Backbleche in seiner Küche, röstete die Nüsse im Backofen, zerkleinerte sie und mazerierte die Masse anschließend in Alkohol. Nach der Destillation und angemessener Reifung im Demion (Glasballon) erreichten Ende 1996 exakt 94 Flaschen Haselnussgeist als Weihnachtsgeschenk seine besten Kunden: „Die Resonanz war riesig“, sagt er heute. Und Dirkers fränkische Brennkollegen wurden hellhörig.

Ein typisches Merkmal der fränkischen Landschaft, links, rechts und zwischen dem mäandernden Main sind Streuobstwiesen. Im Gegensatz zu den europagenormten, auf Einheitshöhe getrimmten, maschinengerechten Obstbäumen gedeihen hier noch Baum- und Strauchgruppen mit qualitativ hochwertigen Beeren und Früchten. Weil die Obstgärtner für ihre geschmacklich exzellente, optisch aber eher unscheinbare Ware keine Abnehmer fanden, drohte die Motorsäge.

Doch dann traten ambitionierte Brenner auf den Plan, die sich zu einer Markengemeinschaft zusammenschlossen, genannt „Rosenhut“. Dieses Gütesiegel steht dafür, dass alle Brände der Mitglieder nach strengen Qualitätskriterien aus frischen, vollreifen Früchten und Rohstoffen sauber ohne Blatt und Stiel hergestellt werden. Auch Zucker- oder Aromazusätze sind verpönt; darüber hinaus sollte der Stoff eben aus Franken stammen. Genau hier liegt der Haken, zumindest beim Haselnussgeist. Die guten Geister hausen im Busch. Ein angemessen großes fränkisches Haselnussbusch-Gehege ist jedoch noch nicht in Hege. Der Stoff für den Gaumentaumel kommt aus der Türkei, mit Abstrichen auch aus Italien, Spanien, Frankreich und den USA. Oder wie Hubertus Vallendar es ausdrückt: „Die Nüsse kommen aus dem Hamburger Hafen“. Im Sinne der allseits propagierten Regio- und Saisonalität von lukullischen Genüssen ist diese Handhabung nicht gerade ein Ausbund von konsequenter Markenführung.

Hubertus Vallendar brennt nicht in Franken, sondern in Kail an der Mosel. Wie Arno Dirker lernte er Schreiner und wie Dirker und Kollegen vom „Rosenhut“ versucht er den Schnaps zu adeln. Sein Renner im Brennprogramm? Der Haselnussgeist. Warum? „Das Riechen erklärt alles – flüs­siges Nutella“, sagt Vallendar, und ergänzt: „Betörend, eigentlich ein gutes Parfum zum Trinken“. Wohl deshalb wird er besonders von „Frauen und Schnapsabstinenzlern“ geschätzt und gekauft. Vallendar macht auch keinen Hehl daraus, dass „klassische Feintrinker“ in Sachen Spirituose den „Haselnussgeist nicht mögen“. Der Grund? „Duft­entfaltung und Geschmacksdichte am Gaumen passen noch nicht so recht zusammen“.

Ein guter Geist brennt nicht, er wärmt, ist weich am Gaumen und streichelt sanft die Seele. Um dieses Geschmacksprofil zu erzielen, setzt Johannes Haas aus dem fränkischen Pretzfeld seinem Hasel­nussgeist „in geringem Masse noch Gewürze zu“: Vanilleschoten und zwei weitere Gewürze, die er nicht nennen möchte. Verschlusssache halt. Das Resultat: Sein Haselnussgeist riecht und schmeckt nach gerösteten Haselnüssen, aber auch Nougat-, Karamell-, Schokoladen- und Vanillenoten sind wahrzunehmen. Eine ganz runde Sache. Das Ergebnis freilich stört die Vertreter der „reinen Schnapslegende“. Womit wir beim Streit der ­Brennergilde angelangt wären, die Butterfrage der Edelbrenner sozusagen. Fruchtgeister gewinnen immer mehr Liebhaber. Deutsche Edelbrenner setzen auf Frauen und Abstinenzler. Mit Erfolg – dank Nutella.(ra) Foto: fotolia.com © Dionisvera Fotos: Lothar Hausstein Fotos: Silvio Galvagni, Rosenhut