Ein Denkmal für die Stones
geschrieben von Natascha Mester im April 2011Stones Museum in Lüchow
Es gibt Fans, die eine zweifellos leidenschaftliche Beziehung zu ihren „Objekten der Begierde“ pfl egen, die ihren Verein durch zuverlässige Anwesenheit in der Arena unterstützen und auch mit dem einen oder anderen Fanartikel kundtun: Der Verehrung sind keine Grenzen gesetzt. Und dann gibt es noch Ulli Schröder. Im wendländischen Lüchow zuhause, ist er dort mittlerweile so etwas wie ein Wahrzeichen, seine „Arbeitskleidung“, in der er zumeist unterwegs ist, ein eindeutiges Statement. Kaum ein Zentimeter auf der schwarzen Frackjacke und dem federgeschmückten Hut, der nicht von einem farbenfrohen Abzeichen der Rolling Stones, seinen unangefochtenen Idolen, bedeckt ist. Selbst der Kopf des kauzigen Keith Richards ist dort en miniature vertreten. So kennt man den 61-Jährigen in seinem Heimatort, und nicht selten kommt es vor, dass Besucher des Städtchens um ein gemeinsames Foto bitten – Promi-Watching im Wendland.
MAL WIRD DER FOKUS AUF EINEM BESTIMMTEN JAHR DER STONES-BIOGRAFIE LIEGEN, MAL AUF DER FOTOGRAFISCHEN DOKUMENTATION EINER EINZELNEN TOUR.

Nun mag ein solcher Anhängerkult dazu verleiten, ihn zu belächeln, als ernst zu nehmende Leidenschaft scheint dieser nicht geeignet. Doch kommt man mit Uli Schröder ins Gespräch, ist dieser Gedanke schnell revidiert. Das immense Wissen, das er sich im Laufe eines Lebens aneignete, macht ihn heute zu einer wandelnden Enzyklopädie zum Thema ‚Rolling Stones‘. Ungläubig schauen lässt einen lediglich seine berufl iche Vergangenheit: 30 Jahre lang war er erfolgreich als Banker tätig, bevor er hauptberufl ich Stones-Fan wurde, davon die letzten 17 Jahre bei der LBS als Bezirksleiter, für die er einige tausend Bestandskunden betreute. Ob der Anhänger in ihm in seinem „ersten Leben“ hinter Schloss und Riegel bleiben musste und lediglich nach Feierabend zwischen all den zusammengetragenen Reliquien zum Leben erweckt wurde, frage ich meinen ungemein sympathischen Gesprächspartner. Nicht ganz, grinst der in Hitzacker geborene, seine langen Haare habe er schon immer getragen. Seit gut acht Jahren geht Ulrich Schröder nun mit der Idee seines bewundernswerten Projektes „Rockmuseum“ schwanger. 2008 war das passende Objekt, ein ausgedienter Supermarkt im Zentrum von Lüchow, gefunden. Auf taube Ohren stieß seine Idee anfangs in Stadt und Land, doch ist mittlerweile offensichtlich, dass diese Institution ein Publikumsmagnet werden wird, so dass einer Realisierung auch von offi zieller Seite begrüßt wird. Von einem ehemaligen Mitarbeiter des Kultusministeriums, einem Kenner der Branche, ließ er sich ein Gutachten erstellen, die Rentabilität eines solchen Vorhabens prüfen. Erst als auch dieser grünes Licht gab, begann man mit dem Umbau.
ALS EINER DER WENIGEN AUSERWÄHLTEN ERHÄLT SCHRÖDERZUTRITT ZUM BACKSTAGE-BEREICH DER ‚ROLLENDEN STEINE’.
Zu Ostern 2011 ist ein inoffi zielles „Pre-Opening“ geplant, ein kühnes
Vorhaben, denn noch beherrschen Baumaschinenlärm und Betonstaub die
Kulisse. Der künftige Museumsleiter lässt es sich dennoch nicht nehmen,
uns zu einer Führung durch die zwei Stockwerke einzuladen. Mit großer
Geste zeigt er, wo später die Vitrinen der Wechselausstellung ihr Zuhause
fi nden. Rund 1.000 Exponate werden hier zu sehen sein, darunter zahllose
Merchandise-Artikel, die der Fan von seinen mittlerweile 159 besuchten
Stones-Konzerten mitbrachte: goldene Schallplatten, signierte Tourplakate,
Originalsfotos, Filme und allerlei Kuriositäten. Geordnet werden diese
dem Lebenslauf der britischen Band entsprechend, so dass mit der Ausstellung
auch ein Stück Lebensgeschichte der Stones erlebbar wird. Jedes
Jahr ist ein Wechsel der Ausstellung vorgesehen, mal wird der Fokus auf
einem bestimmten Jahr der Stones-Biografi e liegen oder auf der fotografischen Dokumentation einer einzelnen Tour.
Auch mit der Einrichtung hat man es sich nicht leicht gemacht: Vieles
stammt aus den 60ern, als der Rock’n’Roll in Gestalt der vier britischen
Jungs neu geboren wurde. An der Decke, rot und schwarz, das Dekor das
die Voodoo-Lounge Tour der Stones begleitete. Die Wände werden Bilder des
Winsener Malers Andreas Ole Ohlendorff zieren, Arbeiten von Sebas tian
Krüger, und auch Großformatiges des Schweizer Popexpressionisten Roland
P. Muri ist vertreten. Daneben die weltweit wohl größte Sammlung von
Drucken des Stones-Gitarristen Ron Wood. Schröder ist langjähriger Sammler,
Wood-Experte und stellte dessen Bilder schon Belgien, Holland, Österreich
und Deutschland aus, auch können diese über ihn bezogen werden.
Was vielen unbekannt ist: ‚Ronnie‘ Wood studierte Kunst, bevor er bei den
Stones anheuerte und produziert bis heute hervorragende gegenständliche
Grafi ken, vornehmlich die Mitglieder der Band in markanten Posen. Uli
Schröder pfl egt seither nicht nur engen Kontakt zu der Druckwerkstatt des Künstlers, sondern auch zu diesem selbst. Wood
lud ihn bereits zu seinem 50. Geburtstag auf sein
Anwesen im fernen Irland ein. Ein einschneidendes
Erlebnis, denn dort, zwischen grünen
Wiesen und altem Gemäuer, stellte ihm
Wood die alle entscheidende Frage für sein
künftiges Leben: „Willst du dein Geld weiter
in der Bausparkasse verdienen oder mit
Sex, Drugs und Rock’n’Roll?“ Der damalige
Bankangestellte entschied sich für letzteres.
Drogen brauchte er hingegen keine, seine
Droge war die Musik.
Knapp 400 Besucher fi nden auf den 1.000
Quadratmetern des Museums Platz, das
auch eine Bühne und eine Leinwand für
Filmvorführungen beherbergt. Ein irischer
Pub befi ndet sich gerade im Aufbau. Dieser
wird übrigens, wie alle anderen Bereiche
auch, von einem eingefl eischten Stones-Fan betrieben.
Der 75-Jährige ehemalige Wirt aus Lüchow
hat einen Eintrag im Guinnessbuch der Rekorde,
wurde bei „Wetten, dass“ in 2010 Wettkönig und
besitzt auch dieses gewisse Maß an Verrücktheit,
das man offensichtlich braucht, um bei Schröder
mitmachen zu dürfen.
geräumige
Büro, in einem Bereich im Lounge-Stil werden
künftig Verhandlungen geführt – auf mehr eren
ausladenden Sofas im lasziven Zebradesign. Nebenan
das Badezimmer samt Whirlpool (sollte Mick
Jagger kommen, soll er schließlich nichts vermissen,
quittiert Schröder mein Entzücken). Der Fußboden
ist aus einem besonderen Marmor, den es
weltweit nur einmal gibt, nämlich in einem Steinbruch
Brasiliens. Seine Maserung erinnert an rollende
Steine, verständlich, dass der Fan nicht umhin
konnte, dieses Material für sein Museum zu
beschaffen. In den Gästetoiletten empfängt den
Besucher natürlich die legendäre Stones-Zunge
auf weißen, handbemalten Kacheln der wenländischen
Künstlerin Annelie Somborn.
Die Mitarbeiter werden überwiegend ehrenamtlich
tätig sein, angedacht ist in Kürze die Gründung
eines Fördervereins, der sich um die Unterhaltung
des Museums kümmert. Momentan rührt Uli
Schröder die Werbetrommel im Alleingang, dies
aber sehr erfolgreich. Angekündigt haben sich Vereine
und Fans aus aller Welt. Selbst aus Lappland
erhielt er gerade eine E-Mail. Die Verbindung nach
Hamburg hätte der Verfasser bereits gebucht,
doch wie es von dort weiter nach Lüchow ginge,
das wollte er nun vom künftigen Museumsdirektor
wissen.
Als einer der wenigen Auserwählten erhält Schröder
inzwischen Zutritt zum Backstage-Bereich der
‚Rollenden Steine‘, er weiß über die Gepfl ogenheiten
Bescheid, kennt die Vorgaben, die eingehalten
werden müssen, um dort geduldet zu sein.
Oberstes Gebot: Keinen der Stars unaufgefordert
ansprechen!
Die Stones seien über sein Vorhaben längst unterrichtet,
erzählt er. Ob die Stars dann auch höchst
selbst vorbeischauen, lässt sich noch nicht mit
Bestimmtheit sagen. Doch zumindest sei man nah
dran, sagt Uli Schröder optimistisch, man versuche
einen Besuch von Mick, Keith, Ronny und
Charlie mit einem Konzert in der Uelzener Jabelmannhalle
zu verknüpfen. Zumindest Chris Jagger,
der Bruder des großen Mick, habe schon fest zugesagt,
in Lüchow ein Konzert zu geben. Auch die
deutsche Dependance der Plattenfi rma Universal,
bei der die Stones unter Vertrag stehen, kam ins
niedersächsische Lüchow, um sich das Vorhaben
eines Stones-Museums vom Initiator selbst erläutern
zu lassen. Das Konzept traf auf Gegenliebe,
und so trägt sich Universal mit dem Gedanken, gemeinsame
Aktionen mit dem Sammler zu starten.
EIN IRISCHER PUB BEFINDET SICH GERADE IM AUFBAU. DIESER WIRD EBENFALLS VON EINEM EINGEFLEISCHTEN STONES-FAN BETRIEBEN.
Was treibt jemanden wie Uli Schröder um,
was ist das, diese Sammelwut, die ein solches
Ausmaß annehmen kann, um mit ihrem
Ergebnis ein ganzes Museum füllen zu
können? Mit einer Antwort tut sich mein Gegenüber
schwer – vielleicht sei er einfach
ein Jäger und Sammler, etwas wegzuschmeißen
fi ele ihm grundsätzlich schwer.
Vor Jahrzehnten waren es neben den Rock-
Heroen auch Ferrarimodelle, die er sammelte,
auch einige in Originalgröße hat er besessen,
den letzten wird er in Kürze zugunsten
seines Museums versteigern. Irgendwann
muss man sich wohl entscheiden für
die eine, die größere Leidenschaft. Herr
Schröder hat sich entschieden – auf ewig. Auch
nach seinem Ableben wird ein Grabstein in Form
der Stones-Zunge seine letzte Ruhestätte zieren.
Darauf wird zuoberst zu lesen sein: „Bitte entschuldigen
Sie, dass ich nicht aufstehe.“ Humor
à la Uli.
Am 21. Mai (auf Einladung) und 22. Mai, pünktlich
zum Lüchower Stadtfest und Spargelsonntag,
soll nach langen Jahren der Planung und des Umbaus
die offi zielle Eröffnung des ‚Rock And Art
Museum Lüchow‘, wie es heißen wird, gefeiert
werden — ein Lebenswerk und das wohl größte
Dankeschön, das ein Fan der ersten Stunde seinen
Idolen sagen kann. (nm)
Stones Fan Museum Lüchow
Dr.-Lindemann-Str. 14
29439 Lüchow (Wendland)
Tel.: (05841) 974 79 87 oder 5902
Mobil: (0171) 2014023
Öffnungszeiten: Di. – So.: 10.00 –18.00 Uhr
www.rockandartmuseumluechow.de
FOTO: EDMUND HOHRENK
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