Der Wasserturm
geschrieben von PROF. DR. WERNER H. PREUSS im Oktober 2011TRINKWASSER FÜR LÜNEBURG – DER WASSERTURM IST DER VERMUTLICH ÄLTESTE DEUTSCHLANDS

Der alte und der neue Wasserturm auf einer Ansichtskarte von 1911.
Aus Lüneburgs Leitungen strömt heute so
reines und wohlschmeckendes Wasser, dass
man es in Flaschen verkaufen kann. Das
war nicht immer so. Im Gegenteil: Lüneburg steht
geologisch auf einer Kuppe aus Salz und Gips, die
Tiefbohrungen in der Innenstadt unmöglich macht
und früher in die Hausbrunnen nur organisch verunreinigtes,
hartes und salziges Oberflächenwasser
sickern ließ. Deshalb begann man vermutlich
schon im 10. Jahrhundert, das Wasser einer Quelle
an der Landwehr zwischen Reppenstedt und Brockwinkel,
genannt „Der kranke Hinrich“, in Röhren
bis in die Nähe der Saline zu leiten. Wasserbezugsberechtigt
waren aber nur wenige Häuser von
Sülfmeistern und Brauherren. Im Laufe der Zeit
kamen weitere Brunnengesellschaften hinzu, die
jeweils ihr eigenes Leitungssystem belieferten.
Doch den steigenden Bedarf der Brauereien an
weichem Wasser konnten auch sie nicht decken.
„21 Bürger und drei Bürgerswitwen“ ließen 1530/31
die „Abtswasserkunst“ errichten. Der Wasserturm
an der Brausebrücke ist heute vermutlich der älteste
Deutschlands.
Zwischen 1568 und 1572 folgte bei der Ratsmühle
der Bau der „Ratswasserkunst“ an der Ratsmühle.
Für den Antrieb der Pumpen, die das Ilmenauwasser
auf die Türme förderten, sorgte jeweils ein mächtiges
Wasserrad. Über Druckleitungen gelangte
das kostbare Nass von dort in die Häuser des kleinen Abnehmerkreises. Die übrigen Einwohner versorgten sich aus zwölf
von der Stadt bezahlten Freibrunnen. Da die Ilmenau gleichzeitig als
Abwasserkanal diente, brachen immer wieder Cholera und Typhus-Epidemien aus.

1875 gelang es nahe der Roten Bleiche erstmalig, aus Tiefbohrungen
Wasser zu gewinnen, das durch Rohrleitungen zur Ratswasserkunst
geleitet wurde. Da das alte Lüneburg in einer Senke lag, konnte sich
die Bebauung nur auf zunehmend höher liegende Gebiete ausdehnen.
Auch die Häuser wuchsen, statt zwei wurden drei Obergeschosse üblich.
Da die beiden bestehenden Türme das Wasser zwar kontinuierlich
nach oben pumpen, aber nicht in größerer Menge speichern konnten,
reichte der Wasserdruck um 1900 in Stoßzeiten häufi g nicht aus, die
Neubaugebiete zu versorgen. Nur ein neuer Wasserturm konnte das
Problem beheben.
Am 10. November 1904 entschloss sich der Stadtrat zum Bau eines
neuen, höheren Wasserturms mit einer Filteranlage und einem großen
Reservoir. Er sollte in der Nähe des Ratswasserwerkes stehen und von
dessen Pumpen versorgt werden. Die Skizze für den Wasserturm entwarf
Stadtbaumeister Richard Kampf, die Ausarbeitung der Einzelzeichnungen
und die Bauleitung übernahm der Architekt Franz Krüger.
Am 12. November 1907 wurde der Wasserturm in Betrieb genommen.
Acht Tage später berichteten die Lüneburgschen Anzeigen stolz: „Seit
voriger Woche rauschet, brauset und zischt es im neuen Wasserturm
am Roten Wall. Von dem himmelanstrebenden Turm fl attern die Fahnen,
ein besonderes Ereignis andeutend. [...] So ist alles bedacht und
berücksichtigt, dass der [...] sehr solide erbaute Turm auf Jahrhunderte
hinaus seinen Zwecken entsprechen dürfte.“ Doch der Lüneburger
Wasserturm konnte nicht lange mit der Bevölkerungsentwicklung
Schritt halten. Schon 1913 passierte es, dass die Einwohner
das Reservoir an einem Vormittag leerten, so dass höher gelegene
Gebiete kein Wasser mehr erhielten.
Nachdem der Wasserverbrauch von ungefähr 600.000 Kubikmetern
im Jahre 1910 auf 1 Million im Jahre 1925 gestiegen war, wurde der
Bau eines neuen Wasserwerkes an der Roten Bleiche erforderlich.
Heute leben etwa 72.000 Menschen in der Hansestadt Lüneburg.
Sie alle nutzen tagtäglich das kühle Nass: zum Zähneputzen am Morgen,
zum Abwaschen am Mittag, zum Kochen oder Baden am Abend.
Seit dem Jahre 2002 ist die „Purena“ für die Wasserversorgung in
Lüneburg verantwortlich. Insgesamt 13 Brunnen mit Tiefen bis zu
220 Metern erschließen die Grundwasserstockwerke im Gebiet des
„Tiergartens“ und des „Düvelsbrooks“. Seit dem 3. August 1980 gewährleistet
der Trinkwasserbehälter Steinhöhe mit einer Höhe von 81,5 bis 88,0 Metern über dem Meeresspiegel
und einem Speichervolumen von maximal 10.000
Kubikmetern die Trinkwasserversorgung Lüneburgs
und eines Teils der Samtgemeinde Ostheide.
INDUSTRIEDENKMAL, BESUCHERMAGNET, FORUM DER UMWELTBILDUNG
1985 wurde der Wasserturm still gelegt und bald
darauf unter Denkmalschutz gestellt. In den folgenden
Jahren scheiterten alle Pläne, den Turm
privatwirtschaftlich zu nutzen, bis die Hauptschule
Stadtmitte und ihr Leiter Rüdiger Hedde die Initiative
ergriffen: Im Mai 1998 wurde der „Trägerverein
Wasserturm Lüneburg e. V.“ gegründet, dann der
Turm von Grund auf saniert und restauriert; die
Atmosphäre des Industriedenkmals blieb jedoch
erhalten. Seit der Wiedereröffnung im Juni 2000
führt der „Riese“ ein zweites Leben als soziales
und ökologisches Bildungsprojekt, in dem Langzeitarbeitslose
Beschäftigung fi nden. Von Anfang
an sind auch die Schüler und Schülerinnen der
Hauptschule Stadtmitte am Erfolg beteiligt. Sie
bieten zum Beispiel Turmführungen und einen Catering-
Service an. Inzwischen besuchen jährlich
mehr als 70.000 Gäste den Wasserturm, der ein
umfangreiches Kulturprogramm veranstaltet.
In den kommenden Monaten wird die Dauerausstellung
zum Thema „Wasser“ auf der Ebene 6 des
Turms überarbeitet. Von der Ungleichheit bei der
Wasserverteilung im alten Lüneburg ausgehend
werden globale Fragestellungen rund um das
Thema Trinkwasser thematisiert, unter anderem
der Verbrauch von „virtuellem“ Wasser, das bei der
Herstellung von Industrieprodukten „tatsächlich“
anfällt. Durch den Klimawandel wird sich in Zukunft
die Variabilität und Menge des verfügbaren
Wassers ändern. Das Risiko von Überschwemmungen
und Dürren wird sich in vielen Regionen
der Erde drastisch erhöhen. Unglaubliche 40 Prozent
der gesamten Landfl äche der Erde sind anfällig
für Verwüstung. Politische und militärische Kon-
fl ikte um die Wasserverteilung sind zu erwarten.
Das Ziel der Ausstellung ist daher, den Besuchern
die Kostbarkeit der Ressource Wasser nahe zu
bringen und sie zum sparsamen und nachhaltigen
Umgang mit Wasser zu animieren.
EIN AUTO FÜR DEN ARCHITEKTEN DES WASSERTURMS
Franz Krüger (1873 – 1936), der Baumeister des Wasserturms, hat das Stadtbild und die Umgebung von Lüneburg nachhaltig geprägt. Sein Werk zeichnet sich durch einen besonderen Sinn für Ästhetik aus und erstreckt sich auf Wohnhäuser und Villen, Sakral- und Industriebauten, Verwaltungsgebäude, Schulen, Krankenhäuser, Schlösser und Gutshöfe, Denkmale und Grabanlagen, Inneneinrichtungen und kunstgewerbliche Arbeiten. Zu seinen Bauten zählen das Logenhaus an der Hindenburgstraße, die Schule im Grimm, das elegante, inzwischen wieder verschwundene Kurhaus und die Wandelhalle im Kurpark, sowie viele Villen und Wohnhäuser im Roten Feld, am Lüner Weg und an der Parkstraße.

Auch Schaufenster und Inneneinrichtung
der Ratsapotheke sind von Franz Krüger
entworfen. Der Architekt stammte aus Leipzig und
kam 1899 nach Lüneburg. Von Anfang an widmete
er sich auch der Archäologie und Denkmalpfl ege.
Lange Jahre leitete der verschlossene Junggeselle
ehrenamtlich die vorgeschichtliche Abteilung des
Museums. Da Franz Krüger außerdem ein passionierter
Kraftfahrer war, ließ er sich um 1930 von
Arthur Illies mit seinem Auto vor einem Hünengrab
porträtieren.
FOTOS: SAMMLUNG HAJO BOLDT
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