Das Scharffsche Haus
geschrieben von Irene Lange im März 2017Historisches Baudenkmal im Wandel der Zeit: Fünf Generationen der Familie Scharff fanden in der Heiligengeiststraße 38 ein Zuhause
Unzählige Wechsel hat das Gebäude mit der klassizistischen Hausfassade in der Heiligengeiststraße 38 erlebt, sowohl was die Eigentümer betrifft, als auch die Nutzung. Über fünf Generationen hat darin die Familie Scharff gewirkt, und so wird es auch heute noch das Scharffsche Haus genannt. Seit 2015 ist darin die Verwaltung des Ostpreußischen Landesmuseums in den Obergeschossen untergebracht, und auch das Museum selbst und das Brauereimuseum sind durch das Tor des Gebäudes zugänglich. Im Erdgeschoss befindet sich das Museumscafé „Bernstein“.
Als Erbauer des Gebäudes im Jahre 1473 gilt der Sülfmeister Detmar Töbing, der einer namhaften Lüneburger Ratsherrn- und Bürgermeisterfamilie zeit Zentrum der sich in der Salzstadt befindenden stattlichen Anzahl von über 80 Brauereien war, liegt es auf der Hand, dass auch einer der späteren Bewohner im 16. Jahrhundert zu den Brauleuten zählte. Urkundlich erwähnt wurde das Gebäude in seiner Funktion als Brauhaus schon vor 1537, in welchem der Brauer Cord Hagen für die Herstellung des Hopfengetränkes zuständig war. In den nachfolgenden Generationen wechselten die Eigentümer in schneller Folge, doch gehörten die meisten — wie aus Hypothekenbüchern hervorgeht — ebenfalls der Brauerzunft an: 1763 war es der Brauer Georg Christian Bostelmann, ab 1798 Georg Hartwig Bostelmann. Auch dessen Söhne Carl Ludwig und Johann Friedrich setzten die berufliche Tradition fort und widmeten sich der Herstellung des Gerstensaftes.

Eine wichtiger Meilenstein in der Geschichte des Hauses stellt das Jahr 1832 dar, als die Witwe Doris Bostelmann, geb. Heitmann mit Christian Eduard Scharff den Bund der Ehe schloss. Sie brachte die geerbte Brauerei Bostelmann als Mitgift mit, die das Ehepaar gemeinsam bis zum frühen Tode Eduard Scharffs führte. Von da an verwaltete seine Witwe für ihren Sohn Georg Gottlieb Scharff die Brauerei wie auch eine inzwischen gegründete Spedition. Ab 1860 nennt sich das Unternehmen laut Eintrag im Lüneburger Adressbuch „Scharff, C. E. Witwe Bierbrauerei und Essigfabrik, Heiligengeiststraße C. 122“ (heute Nr. 38). Ab 1864 steigt auch Sohn Georg Gottlieb in das Braugewerbe ein. Er ändert nach der Heirat mit Johanna die Firmenbezeichnung entsprechend in „J (Johanna) G (Georg Gottlieb) Scharff Brauerei und Essigfabrik“. Seine Frau, später liebevoll „Großchen“ genannt, erhält Prokura und ist bis zu ihrem Tod mit 83 Jahren noch regelmäßig im Unternehmen tätig, nicht zuletzt, um die Bücher zu auf ihre Richtigkeit zu prüfen.

1899 wurde das Bierbrauen eingestellt, nur noch der Essig kam hier aus eigener Produktion. Doch Georg Gottlieb Scharff sah als umsichtiger Geschäftsmann schon früh eine lukrativere Zukunft im Handel mit Petroleum und erwarb die Konzession für ein Petroleumlager. Einige Jahre später,1910, eröffnete er direkt vor dem Haus in der Heiligengeiststraße die erste Lüneburger Tankstelle. Verkauft wurde dort das Spezial-Benzin „Dapolin“. Bis in die 1950er-Jahre befand sich die Zapfsäule vor dem Haus, dann wurde sie 1974 an die Altenbrückertorstraße/Ecke Berliner Straße verlegt (heute Willi-Brandt-Straße). Ihren Namen trägt die „Scharff-Kreuzung“ bis heute und erinnert an die unternehmerischen Tätigkeiten der Familie gleichen Namens.
Bis 1959 blieb der Betrieb – inzwischen Baustoffhandlung und Essigfabrik – im Gebäude in der Heiligengeiststraße. In diesem Jahr stieg auch Junior Hans-Peter Scharff zunächst als „Mädchen für alles“ ein. Schon ab 1875 hatten sich Georg Gottlieb und Johanna Scharff entschlossen, auch Baustoffe ins Handelssortiment mit aufzunehmen. Diese Entscheidung half ihnen über die Zeit der Weltwirtschaftskrise in den 1930er-Jahren hinweg, als die Brüder Gottlieb und Hans nach dem früheren Tod des Vaters Carl im Jahre 1935 die Geschäfte führen mussten. In dieser Zeit war die Firma auch Gründungsmitglied der Lüneburger Wohnungsbaugesellschaft, der heutigen LüWoBau.
Über den zweiten Weltkrieg mit der damaligen Zwangsbewirtschaftung gelang es mit unternehmerischem Weitblick, die Spedition der Firma aufrecht zu erhalten, so dass der Wagenpark nach dem Kriege der einzig vollständig erhaltene in der gesamten Region war und den gesamten Kohlentransport im Raum Lüneburg übernahm. Damals hatte die Firma ihren Standort an den „Soltauer Kleinbahnhof“ verlagert, 1960 zog der Betrieb mit Werkstatt zum OHE Bahnhof in Rettmer um.
Bis in die 1950er-Jahre befand sich die Zapfsäule vor dem Haus, dann wurde sie 1974 an die Altenbrückertorstraße/ Ecke Berliner Straße verlegt.

Hans-Peter Scharff übernahm das Unternehmen schließlich 1972 als Inhaber. Die Tankstelle musste er jedoch 1974 schließen, da er keine Genehmigung für eine Zufahrt zur Berliner Straße erhielt. Der Firmensitz der J.G. Scharff Baustoffhandlung wurde ab 1989 auf das Betriebsgelände nach Rettmer in die Lüneburger Straße 7 verlegt, während in der Heiligengeiststraße immer noch der Familiensitz von Hans-Peter Scharff verblieb.
1994 pachtete die Firma Crull, ein Einrichtungshaus, die Geschäftsräume, nachdem das Gebäude von Hans-Peter Scharff unter Beachtung und Einhaltung der Denkmalspflege saniert und restauriert worden war. 1997 konnte das Familienunternehmen noch seinen 165. Geburtstag feiern, bevor es im März 2005 durch den Inhaber endgültig in die Firma „Mölders und Scharff Bauzentrum“ in Rettmer überging. Noch im gleichen Jahr verstarb Hans-Peter Scharff mit nur 68 Jahren. Zeit seines Lebens war er nicht nur als geachteter Kaufmann über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt und beliebt, er galt auch als Lüneburger mit Leib und Seele. Seine Witwe Vera Scharff veräußerte 2009 das Haus Nr. 38 an die Deutsch-Baltische Kulturstiftung, bevor sie Lüneburg in Richtung Schweiz verließ. Die bis dahin ansässige Firma Crull zog in neue Räume an der Ilmenaustraße, und durch die Toreinfahrt an der Heiligengeiststraße wurde ein Durchgang zum Ostpreußischen Landesmuseum geschaffen.
Nach fünf Generationen in der Familie ist das Scharffsche Haus nun zu einem würdigen Entrée in eine neue, spannende Museums-, Veranstaltungs- und Ausstellungswelt geworden.(ilg)
Fotos: Enno Friedrich Fotos: Sammlung Hajo Boldt


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