‚Kosmetik‘ für das Gesicht unserer Stadt
geschrieben von Natascha Mester im Mai 2011DIE RESTAURATOREN INGA BLOHM UND MARKUS TILLWICK SORGEN NICHT NUR IN LÜNEBURG DAFÜR, DASS STADT- UND KUNSTHISTORIE ERLEBBAR BLEIBT
Im Lüneburger Wasserviertel eröffnete vor wenigen
Monaten ein kleines Hotel mit dem bezeichnenden
Namen „Hotel Einzigartig“, ein
kleines, gemütliches Haus in der Lünertorstraße 3,
das um 1579 von einem der Lüneburger Braumeister,
Jürgen Barteldes, bewohnt wurde. Der
Brauer war vermögend, also erhielt sein Haus
nicht nur einen Staffelgiebel sondern auch allerlei
Wandschmuck, der fortan die Innenräume verschönerte.
Zwischen den Fachwerkbalken entstanden
Ornamente und stilisierte Blumen. Bei den
Umbauarbeiten des Hauses im Jahre 2010 erblickten
diese und weitere stumme Zeitzeugen
nach über 400-jährigem Schlaf erneut das Tageslicht
— nicht zuletzt dank der beiden Lüneburger
Restauratoren Inga Blohm und Markus Tillwick.
Seit dem Beginn der Sanierungsarbeiten betreuten
sie das Vorhaben. Das fertige Gesamtbild kann sich
jeder Interessierte in den mittlerweile fertig gestellten
Räumen des Hotels anschauen.
Nach dem Studium in Hildesheim zog es den gebürtigen
Greifswalder und die aus der nahen Heideregion
stammende Inga Blohm 2007 zum Leben
und Arbeiten in die Salzstadt. Man wurde vorstellig:
bei der der Klosterkammer in Hannover, der
niedersächsischen Landeskirche und in den Museen
– eine überraschend dankbare Aufgabe, denn hier
sei man mit offenen Armen empfangen worden.
Schon kurz darauf der erste Auftrag: Die Fassade
des aus dem 15. Jh. stammenden Kaland-Hauses
sollte von den beiden diplomierten Res tauratoren
auf ihre einstige Farbigkeit untersucht und die
Skulpturen und Wappen in den Zustand von 1896
zurückversetzt werden. In diesem Zuge wurde
auch den Figuren ein neues Kleid aus Blattgold
verpasst.
Spezialisiert haben sich die beiden diplomierten
Fachleute auf das Material Holz. Inga Blohm mit
dem Schwerpunkt auf Lackaufbauten, Polituren
und Intarsienarbeiten, Markus Tillwick auf das Restaurieren
veredelter, bemalter Holzobjekte, zu denen
auch Bilder und Tafelmalereien gehören. Auf
meine Nachfrage bezüglich der Vorgehensweisen
antwortet Markus Tillwick:
„Wir Restauratoren verstehen uns heute eher als
Konservatoren. Werden beispielsweise historische
Wandmalereien freigelegt, so sind wir bemüht, das
Originalmaterial zu erhalten – und dies so zurückhaltend
wie möglich, denn es ist nicht unsere Aufgabe,
die eigene Kreativität in den Vordergrund zu
stellen. Ziel ist es vielmehr, Historie für die folgenden
Generationen bestmöglich zu konservieren
und diese nicht aussehen zu lassen, als sei das
Objekt gerade gestern hergestellt worden.“
Oft allerdings begebe man sich auf eine Gratwanderung,
und zwar dann, wenn man begründete
Zweifel hegt, ob das Restaurieren eines Objektes
sinnvoll ist oder ob man ihm damit vielleicht eher
Schaden zufügt. „Manchmal muss man die Entscheidung
fällen, den Fund wieder ‚unsichtbar‘ zu
machen und folgende Generationen mit der Aufgabe
betrauen“, erklärt Inga Blohm. Und damit
in solch einem Fall dieser Schritt auch für zukünftige
Generationen von Fachleuten nachvollziehbar
ist und man weiß, was hinter Lüneburgs
Fassaden verborgen liegt, wird jeder Fund und
jede Maßnahme akribisch dokumentiert.
„Wie lange freigelegte Kunstwerke die Zeit überdauern,
hängt dann allerdings vor allem auch von
vielen äußeren Faktoren ab. Beispielsweise begann
der Verfall vieler historischer Decken- und Wandmalereien
mit dem Einbau von Heizungs systemen.
Unter den Klimaschwankungen und der trockenen
Raumluft litten die Farbschichten. Heute weiß man
darum, versucht, mit einer konstanten Temperatur,
wenig direktem Licht und einer kontinuierlichen Befeuchtung
der Luft ein ideales Klima zu schaffen.“
Was Lüneburgs ‚Gesicht‘ betrifft, so haben Blohm
und Tillwick eine Menge zu seiner Erhaltung beigetragen.
Angefangen bei der Konservierung der
Wandpaneele und eines Wandschranks der Gerichtslaube
im Lüneburger Rathaus, deren abblätternde
Farbschichten haltbar zu machen waren,
bis zu Arbeiten an der Kanzel und dem Probststuhl
im nahen Kloster Lüne. Auch Aufträge von
Privat werden gern angenommen. Dabei muss es
sich nicht immer nur um ein altes Erbstück handeln,
das wieder ‚aufgefrischt‘ werden soll. Manchmal
fragen auch die Inhaber von Gebäudn an, wie
jener der Lüneburger Raths-Apotheke in der Großen
Bäckerstraße. In dieser ruht auf dem Dachboden
die historische „Kräuter- und Materialkammer“
samt den Apothekenschränken mit ihren
zahlreichen Vorratskisten, in denen man seit 1598
heilende Ingredienzien aufbewahrte. Während der
Restaurierungsarbeiten an den kleinen Kisten entdeckte
das Team das ursprüngliche ‚Gesicht‘ aus
dem 16. Jahrhundert, das mit einer so genannten
Beschlagwerkornamentik bemalt und dem Inhalt
nach beschriftet wurde. Später waren die Kisten
mehrfach überstrichen worden.

IN BARDOWICK FINDEN SEIT EINIGEN JAHREN ARCHÄOLOGISCHE UND RESTAURATORISCHE UNTERSUCHUNGEN AUF DEM ST. NIKOLAIHOF UND IM ALTEN SPITAL STATT.
Einer ihrer ersten Aufträge waren zwei Tafelbilder
aus dem Kloster Bassum, zwei kleine Altarfl ügel,
die in der Barockzeit übermalt worden waren.
Durch eine Infrarotuntersuchung im Landesamt
für Denkmalpfl ege erahnte man schemenhaft Untermalungen.
Inga Blohm und Markus Tillwick gingen
zu Werk, „eine wahnsinnig spannende Arbeit“,
erinnert sich der Restaurator, „ein Bild aus dem
15. Jahrhundert vor sich zu haben, von dem man
weder das Motiv, noch den Zustand kennt.“ Entdeckt
haben die beiden Fachleute schließlich ein
Bildmotiv, das eher im süddeutschen Raum verbreitet
ist: „Christus in der Kelter“, ein metaphorisches
Sinnbild, das Christi in der Weinpresse
zeigt.
Vor Kurzem arbeiteten sie wieder in der Alten
Raths-Apotheke, deren Deckenmalereien weiter
untersucht wurden, denn diese, so weiß man inzwischen,
stammen von dem bekannten Maler Daniel
Freese, dessen Todestag sich gerade zum
400sten Mal jährte und der unter Anderem die
allegorischen Gemälde für die Große Ratsstube
des Lüneburger Ratshauses schuf. Anhand von
Bildern, die eine Minikamera nach dem Einführen
in den noch verschlossenen Deckenbereich sandte, war zu sehen, dass hier noch unbekannte Schriftfelder
existieren, in denen Naturwissenschaftler aus
dem 16. Jahrhundert namentlich genannt werden.
Danach geht es weiter nach Bardowick, wo seit einigen
Jahren umfangreiche archäologische und
restauratorische Untersuchungen auf dem St. Nikolaihof,
einem ehemaligen Hospital, stattfi nden.
Diese Einrichtung gehört bis heute der Stadt Lüneburg,
die hier einst ihre Leprakranken unterbrachte.
„Wir haben speziell für das Alte und das Neue
Männerhaus den Auftrag für Untersuchungen erhalten.
Wir konnten bereits die ursprünglichen
Raumaufteilungen und verschiedene Wandgestaltungen
dokumentieren.“ Die nächste große Aufgabe
wird die restauratorische Baubegleitung bei
den ersten Rückbaumaßnahmen sein, in der die
Einbauten des späten 20. Jahrhunderts weichen
müssen. Bleibt zu hoffen, dass sie noch recht lange
dafür sorgen, das unvergleichliche Gesicht Lüneburgs
zu erhalten. (nm)
Weitere Informationen finden
Sie unter www.blohm-tillwick.de .
FOTOS: BLOHM & TILLWICK
Weitere Artikel:
Bardowicker Gesäßhuldigung
Brutzeln und kochen für den Denkmalsc...
Frieden war das schönste Geschenk
Willkommen im Katzenparadies
Plötzlich scheinreich
Trabis, Tränen und eine Stadt im Taum...
Wie geht eigentlich Kunst?
Bruchbuden gegen den Wohnraum-Mangel
Auf der Lüneberger Heide?
„Der Sturm“ wird ein Bühnen-Orkan
Der Hochzeitstag ist auch nur ein Datu...
Re(h)agieren Sie rechtzeitig
Ein Tag für Ja-Sager
Gehen Sie doch einfach mal am Stock...
Oase des Glücks
Die Kampfkunst des Mittelalters
Wie böse ist die Schlange wirklich?
Per App auf Zeitreise
Rule Brexitannia
Suchbild des Monats September 2019
Lüneburg Aktuell

Lüneburg Aktuell
Heute schon lesen was morgen in der Zeitung steht
Veranstaltungskalender
Mittagstisch
Kleinanzeigenmarkt
http://www.lueneburgaktuell.de/