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Vom Nobody zur Marke

geschrieben von Natascha Mester im Februar 2011

Der Mann, der Wolfgang Joop zu seinem Durchbruch verhalf, ist im ländlichen Niedersachsen zuhause: Jan-Erik Mullikas

Das Kleider Leute machen, ist ein bekanntes Sprichwort mit wahrem Kern. Überträgt man dieses in die Modebranche, so mag dies ebenso zutreffen, denn: mit der Bekanntheit eines Modelabels steigt der Weltruf des Designers — und seines Mentors. Auf dem platten Land nahe Lüneburg lebt Jan-Erik Mullikas, der erste Konfektionär des heute international bekannten Modedesigners Wolfgang Joop. Dort, in seinem Fachwerkhaus, ist ein Raum zum Archiv geworden: An Kleiderstangen hängen Mäntel, Jacken und Kostüme, stumme Zeitzeugen aus den Jahren 1946 bis 1984. 15 Jahre lagerten die kleidsamen Stücke in der Scheune, nicht alle haben den Angriff der Motten schadlos überstanden. Ganz vorn ein Mantel von 1946, genäht aus einer englischen Militärdecke, das Futter aus gefärbtem Fahnentuch, die Taschen mit Fallschirmseide ausgekleidet. Gleich dahinter ein weich fallendes Cape aus Kaschmir-Loden und ein Mantel aus anschmiegsamem Zobelpelz. „Von 1982“, dokumentiert Mullikas. In der Innenseite eingenäht das Markenzeichen „Joop!“ Das Sammeln dieser Kollektionsstücke wurde über die Jahre zur Leidenschaft. Den Grundstein dazu legte der Schwiegervater, selbst in der Bekleidungsbranche zuhause, mit den ersten Stücken aus der Nachkriegszeit. Als er den Ehemann seiner

Joops erste „Pret-à-porter“-Collection wurde von der Firma Erle produziert und vermarktet.

Tochter ins Modebusiness holte, kam dieser gerade vom Bund, hatte zuvor eine kaufmännische Lehre in der Auto-Branche absolviert. „Von heute auf morgen stand ich also in dem Produktionsunternehmen einem mir fremden Metier“, berichtet der heute 66-Jährige über seinen Berufsstart. Im Stammwerk in Ellerau zwischen Hamburg und Kiel, in welchem zu der Zeit noch über 1.200 Angestellten arbeiteten, nahm seine Karriere ganz bodenständig in der Fabrikation ihren Anfang. Die Faszination und Liebe zu dieser schnelllebigen Branche stellte sich jedoch schnell ein. Schon immer hatte er ein Faible für Stil, für schöne Autos und ein untrügliches Gespür für Trends. Augenzwinkernd sagt er heute: „Fashion is my Profession“. Im Einzelhandel erschnupperte er Branchenluft, als Assistent der Geschäftsleitung erarbeitete er sich sein immenses Know-How. Später übernahm er die Firma Erlhoff aus den Seniorhänden, führte die Eigenmarke ‚Erle‘ weiter. Sein Berufsleben war ein erfülltes — ein Leben für die Mode – viele Ereignisse und Anekdoten haben ihn begleitet, sie handeln von Modegrößen und Modemetropolen, von Begegnungen mit der Crème de la Crème des Business und vom steten Ringen mit der Konkurrenz in einer Ellenbogengesellschaft. Die Geschichte über die berufliche Beziehung zwischen dem Schleswig-Holsteiner Jan-Erik Mullikas und dem gebürtigen Potsdamer Wolfgang Joop ist die Geschichte von einem Mentor und seinem Zögling. Eine Geschichte, die, wie so oft im Leben, nicht mit einem Happy End gesegnet war. Als er dem jungen Designer das erste Mal begegnete, befand er sich gerade auf der Rückreise von Italien nach Hamburg. Dicker Nebel verhinderte den Start, sein Flug war unlängst gecancelt worden. So vertrieb man sich die Zeit mit einem guten Tropfen in einer Bar in Brescia nahe Neapel, als Mullikas am Nebentisch ein emsig zeichnender junger Mann mit sturem Gesicht auffiel. Eines der Blätter landete zusammengeknüllt vor seinen Füßen. Er hob es auf und faltete es auseinander. Die darauf festgehaltene Skizze weckte sein Interesse. „Entschlossen sprach ich den jungen Mann an und erfuhr, dass dieser aus dem norddeutschen Hamburg kam, wo er als Freelancer für verschiedene Modefirmen zeichnet. Sein Name: Wolfgang Joop. Wie der Zufall es wollte, saßen wir auf unserem

Geblieben ist ihm eine Sammlung von rund 1.000 handkolorierten Skizzen von Wolfgang Joop aus den Jahren 1982-89.

Rückflug nach Hamburg nebeneinander, unterhielten uns und machten Nägel mit Köpfen.“ Geboren ist dort zwischen Himmel und Erde die Idee zur ersten Kollektion mit dem Namen „Joop!“ Man schrieb das Jahr 1981. Wenig später wurde der Designervertrag verhandelt. Joop brachte seine Erfahrungen aus der Pelzbranche in diese erste Pret-à-Porter-Kollektion ein. „Ich zog die besten Näherinnen von den Bändern unserer Produktionsfirma ab, um die Joop!- Kollektion neben der regulären Produktion fertigen zu lassen“, erinnert sich Mullikas. „Dass dies innerhalb des Betriebes nicht auf Zustimmung stieß, lässt sich erahnen.“ Als Konfektionär des Designer-Neulings übernahm Jan-Erik Mullikas fortan sowohl die Produktion, als auch den Vertrieb. Zielsicher sorgte er dafür, dass sich der neue Markenname gleich im richtigen Segment etablierte — in den oberen Sphären der deutschen Modewelt. Und Mullikas übt sich in Geduld: Ihm ergehe es wie dem Bauern, der sich ein Kalb kauft und es zur Kuh großziehe, in der Hoffnung, dass sie Milch gibt. „Die Kuh“, fügte er hinzu, „sei nun kurz vor dem Milchgeben gewesen.“ Als Debüt plante er eine glanzvolle Modenschau in Düsseldorf, die das Publikum so schnell nicht vergessen sollte. Joops erste „Pret-à-porter“-Kollektion, die von der Firma Erle produziert und vermarktet wurde, sollte den Jungdesigner im Business nach oben katapultieren. Dieser war damals schier überwältigt, fast schüchtern willigte er ein, freute sich, über die Erfolgsaussichten, die ihm regelrecht vor die Füße gelegt wurden. Mit keinem geringeren als dem Choreographen von Versace wurde die Show schließlich einstudiert. Mit dem damaligen Chefredakteur der exklusiven Modezeitschrift VOGUE vereinbarte man eine zehnseitige Werbestrecke. Man engagierte namhafte Models und nicht minder namhafte Fotografen; selbst der renommierte Helmut Newton wurde mit der Umsetzung einer Fotostrecke beauftragt. 400 Plätze warteten im Düsseldorfer Congresscentrum schließlich auf ihre illustren Besucher, 1.000 kamen. Eine Show, die an Exklusivität kaum zu überbieten war. Wolfgang Joop weinte. Sie waren der Zeit weit voraus: Closed-Geschäftsführer Günter Giers blickte dem Konfektionär damals zweifelnd über die Schulter, als dieser den ersten stonewashed Jeans der Marke Joop! in Betonmischern zu ihrer ausgewaschenen Farbgebung im „used-look“ verhalf. Bald mischte Mullikas auch auf der Düsseldorfer Königsallee, kurz Kö genannt, mit, gab gediegene Modeschauen im achtbaren Interkonti. Er rührte die Werbetrommeln, stellte sich mit der Presse gut, lud Persönlichkeiten ein. Er verstand, das zur exklusiven Mode weit mehr gehört als diese zu verkaufen — es war das Gesamtpaket, das funktionierte. Das kaufkräftige Publikum verlangte nach dem Außergewöhnlichen; also ließ er Umkleidekabinen entwerfen, die nicht nur so groß wie eine Suite waren, sondern auch einen eigenen Service beinhalteten, Kaffee und Champagner inklusive. Er bestückte eine ganze Straße mit Blumentöpfen, veranstaltete Partys mitten auf der Straße, ein Klavier wurde auf Paletten herbeigerollt – die Kunden dankten es ihm mit dem Besuch seines Geschäfts. Die Marke Joop transportierte ein Lebensgefühl. In jener Zeit pendelte er zwischen den deutschen Modemetropolen, zwischen Produktion und Vertrieb, fuhr zu den Messen in Kopenhagen und Paris; ein „Trüffelschwein“ für den Trend der neuen Saison. Bis 1989. „Dann fuhren wir nach Italien, wo wir eine separate T-Shirt Kollektion unter Joops Namen in Auftrag geben wollten. Im „Hotel Vier Jahreszeiten“ trafen wir auf Herbert Fromm, den Generalbevollmächtigten von Lancaster. Wolfgang und er begannen zu reden. Zunächst dachte ich mir nichts dabei. Wenig später erfuhr ich über die Anwälte des Modeimperiums Boss und der Firma Lancaster Deutschland, „sie würden Herrn Joop vertreten.“ Offensichtlich war es dem Potsdamer zu eng geworden im schleswig-holsteinischen Ellerau. Man wollte sich „nach oben“ orientieren – so, wie es ihm sein Mentor jahrelang vorgelebt hatte. Zu einer Aussprache zwischen ihm und seinem Zögling kam es nie. Geblieben sind dem Eigentümer einige Originalmodelle und die einmalige Sammlung von rund 1.000 handkolorierten Originalskizzen des jungen Designers Wolfgang Joop aus den Jahren 1982 bis 1989. Diese Skizzen mit ihrem so prägnanten „Strich“ sind mittlerweile Sammlerstücke geworden, die als absolute Hingucker neben manchem Meisterwerk bestehen können. Am 5. März erblicken einige dieser Exemplare wie auch ein Großteil der über Jahre gesammelten Modelle das Licht der Öffentlichkeit. Gezeigt werden sie bei einer Modenschau in der Domäne Scharnebeck, jeweils ab 16.00 Uhr. Aufgrund des großen Interesses wurde kurzfristig eine zusätzliche Schau am Sonntag, den 06. März um 18.00 Uhr organisiert. Eine weitere umfassende Ausstellung ist geplant. Wo und wann diese stattfinden wird, darüber informiert Sie natürlich Ihr QUADRAT. (nm) Fotos: Horst Petersen