Wer war eigentlich...
geschrieben von André Pluskwa im Mai 2011Charlotte Huhn
LÜNEBURGS OPERNSTIMME MIT INTERNATIONALEM ERFOLG
Die Straßennamen unserer Stadt dürften manch
einem mitunter als ein Mysterium erscheinen. Anders
als beispielsweise in Berlin klärt kein Extra-
Schildchen über die Namen gebenden Persönlichkeiten
auf. Dabei reicht, wie im Falle der Willy-Brandt-Allee
oder dem Johann-Sebas tian-Bach-Platz, eine durchschnittliche
Allgemeinbildung nicht immer aus, um die
Namen richtig einordnen zu können. Deshalb wollen wir
ein wenig Licht ins Dunkel bringen.
Obwohl der wohl erste weibliche Künstler der Moderne
mit Lüneburger Herkunft von internationalem Bekanntheitsgrat,
dürfte die Opernsängerin Charlotte Huhn den
meisten Lüneburgern kaum geläufi g sein. Die nach ihr
benannte Straße verläuft übrigens am Rande der Weststadt
und wird also verhältnismäßig wenig besucht. An
ihrem Geburtshaus in der Grapengießerstraße Nummer
27 kommt man hingegen häufi g vorbei, doch nur eine
kleine unscheinbare Tafel erinnert dort an Lüneburgs
Stimmwunder. In diesem Zusammenhang sei aber auf die
Bronzeplastik ihres Konterfeis und die Inschrift „Der
großen Künstlerin die dankbare Vaterstadt“ auf ihrer letzten
Ruhestatt auf dem Friedhof St. Michaelis hinge wiesen.
Doch von vorn.
Charlotte Huhn wurde am 15. September 1865 als
jüngstes von fünf Kindern geboren. Sie wuchs in bescheidenen
Verhältnissen auf, ihr Vater besaß einen Friseursalon,
den nach seinem frühen Tod einer seiner Söhne,
der damit einen Teil der Ausbildung Charlottes finanzierte,
weiterführte. Schon früh fi el Charlotte in der
Schule durch ihre sehr umfangreiche Alt-Stimme, ihre
außerordentliche Musikalität und ihren hohen Wuchs auf
— drei Attribute, die ihr bei ihrem Werdegang zur hochkarätigen
Opernsängerin den Weg ebnen sollten.
Der damalige Oberbürgermeister Lauenstein und
Marie Gravenhorst waren es, die, nachdem ihr Talent
erkannt und schulisch geprägt worden war, sich
für sie einsetzten. Als sie 1885 ihr Studium in Köln
als Pianistin und Konzertsängerin erfolgreich abschloss,
begann die eigentliche Lehrzeit, die auf
den Bühnen dieser Welt stattfand. In dieser Zeit erblühte
die Sängerin zur Opernkünstlerin, da ihr
dieses Metier zusätzlich die Möglichkeit gab, ihre
dramaturgischen Qualitäten zu leben. Triumphale
Auftritte in Leipzig, Düsseldorf, Rotterdam und anderen
Städten festigten ihren Ruf als begnadete
und dabei hochsympathische, lebensbejahende,
doch immer zurückhaltende und selbstkritische
Künstlerin, die frei war von Affären und Skandalen,
mit denen so viele andere Zeitgenossen ihrer Zunft
von sich reden machten.
IN NEW YORKER METROPOLITAN OPERA HOUSE STAND SIE MIT GRÖSSEN WIE ENRICO CARUSO AUF EINER BÜHNE.
1889 nahm sie – unter der Bedingung, dass ihre
Mutter sie dorthin begleiten konnte – in New York
am Metropolitan Opera House ein Engagement an.
Hier stand sie mit Größen wie Enrico Caruso gemeinsam
auf einer Bühne. Einhellig war man in New
York der Meinung, dass sie den wertvollsten Zuwachs
des aktuellen Ensembles darstellte. Nach
Ablauf des Engagements kehrte sie dennoch ins
Heimatland zurück, um in Köln und Dresden zu residieren.
Sie, inzwischen zur reifen Frau geworden,
konnte nun ein umfassendes Repertoire vorweisen,
das die Opernhäuser des Landes um sie buhlen
ließ. Als sie 1901 von Dresden nach Hamburg
wechseln wollte, schalteten gar 600 Persönlichkeiten
aus illustren Kreisen im „Dresdener Anzeiger“
einen Aufruf an sie, doch bitte zu bleiben.
Ihr war er zu viel geworden, der Rummel um ihre
Person; sie nahm eine Auszeit in Südamerika. Danach
kehrte sie nach München zurück, wo sie das
letzte lange Engagement als Opernsängerin annahm.
Ab 1906 konzentrierte sie sich auf die Ausbildung
junger Künstler und bewies mit ausgesuchten
Gastspielen, dass sie nichts von ihrem
Können verlernt hatte. Sie gründete in Köln ihre
eigene Gesangsschule, bekam aber die Leitung
des gesamten Gesangswesens der großherzoglichen
Hochschule für Musik und Gesang in Weimar
angeboten, ein einträglicher Posten, den sie
aber nach drei Jahren abgab, um in Berlin wieder
unter eigener Regie eine Gesangsschule zu führen.
In diese Zeit fällt auch die Adoption eines Schülers
von ihr: Günther Richter, der 1912 ein Engagement
als Heldentenor in Rostock bekommen sollte. An
ihm und seiner frisch gegründeten Familie hing ihr
Herz, doch durch den ersten Weltkrieg kam es, wie
bei vielen anderen auch, zu einem Riss in ihrer beider
Leben; allerdings sollten sie sich wiedersehen.
Trotzdem war es 1919 das letzte Mal, dass beide
ge meinsam auf der Bühne standen, und zwar in der
Halle an der Lindenstraße in Lüneburg. 1923 starb
Richter überraschend während einer Magenoperation,
ein halbes Jahr später seine Frau. Die Enkel
von Charlotte Huhn verblieben bei Blutsverwandten des Vaters, Schicksalsschläge, die die einstmals so
Menschen begeisternde Frau nicht verwinden
sollte. Sie wurde von Depressionen heimgesucht,
verlor ihre Kraft, und kurz nach Gründung einer weiteren
Gesangsschule in Hamburg starb sie 1925
mit 59 Jahren nach einer missglückten Stimmbandoperation.
Die goldenen Zwanziger, diese wilde
rauschhafte Zeit, war nicht die ihre, mit Skepsis
hatte sie die gesellschaftlichen Entwicklungen betrachtet
und sich davon distanziert.
Im Museum für das Fürstentum Lüneburg kann man
auf Anfrage ein ledergebundenes Buch begutachten,
das zahlreiche Fotos von ihr enthält, private wie solche
aus ihrem Berufsleben, in Kostümen und auf der
Bühne. Von der Möglichkeit, ihre Stimme aufzunehmen,
hatte sie stets Abstand genommen. So erinnert
nur wenig an eine der erfolgreichsten Musikerinnen,
die jemals in Lüneburg das Licht der Welt erblickten.
Doch auch das mag ganz in ihrem Sinne sein, ging
es ihr doch stets nur um die Musik, niemals aber um
den Rummel drum herum. Entsprechend erschreckt
würde sie sein, müsste sie feststellen, dass es heutzutage
oft genau anders herum zugeht. (ap)
Quelle: Constanze Sörensen, Biographien Lüneburger Frauen,
Maren Thomsen Produkte 2005. Erhältlich in der Ratsbücherei
Lüneburg
Weitere Artikel:
Bardowicker Gesäßhuldigung
Brutzeln und kochen für den Denkmalsc...
Frieden war das schönste Geschenk
Willkommen im Katzenparadies
Plötzlich scheinreich
Trabis, Tränen und eine Stadt im Taum...
Wie geht eigentlich Kunst?
Bruchbuden gegen den Wohnraum-Mangel
Auf der Lüneberger Heide?
„Der Sturm“ wird ein Bühnen-Orkan
Der Hochzeitstag ist auch nur ein Datu...
Re(h)agieren Sie rechtzeitig
Ein Tag für Ja-Sager
Gehen Sie doch einfach mal am Stock...
Oase des Glücks
Die Kampfkunst des Mittelalters
Wie böse ist die Schlange wirklich?
Per App auf Zeitreise
Rule Brexitannia
Suchbild des Monats September 2019
Lüneburg Aktuell
Lüneburg Aktuell
Heute schon lesen was morgen in der Zeitung steht
Veranstaltungskalender
Mittagstisch
Kleinanzeigenmarkt
http://www.lueneburgaktuell.de/