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Artis Mysterium Faber Cox

geschrieben im Februar 2011

Über den Zauber wahr gewordener Anderswelten

18 Jahre lebte er in seinem Haus mit einem Tiger, der von ihm und seinem Coll ie erzogen worden war.

Die Zeit ist ein wundersames, von Menschenhand erschaffenes Konzept: wir glauben nur zu gern, dass sie vergeht, dabei sind vielleicht nur wir es, die wir uns in ihr bewegen. Es mag sein, dass wir, im Angesicht der Ewigkeit, uns dazu genötigt sahen, diese zu kartografieren und so scheinbar messbar und kontrollierbar machten — die Zeit ist Zahl, ein Abbild von Wirklichkeit, eine mögliche Sichtweise, eine Illusion. Die Dekonstruktion dieser Idee von Linearität, die Erweiterung unseres Verständnisses der durch unsere Wahrnehmungsmöglichkeiten begrenzten und manipulierbaren Sicht der Dinge ist eine Methode der Kunst. Sie macht ewig, was im Moment gefangen und verloren ist, sie eröffnet, was man sonst nicht sieht oder für möglich hält: Das Eigentliche bleibt unsichtbar wie Schildplatt hinter einem bläuenden Meer aus Wellen von Erklärbarkeit.

Cox trat als zweimaliger Weltmeister der Magie auf den illustren Bühnen der Welt vor Millionen von Zuschauern auf.

In Heiligenthal lebt ein Mann namens F. J. Cox mit seiner Frau und Muse Annabelle, die beide um die Beschaffenheit dieser Entropien sehr wohl wissen. Deswegen bleibt auch sein in Sonnenumrundungen der Erde benennbares Alter ungemessen, denn seine Idee von Tatsächlichkeit und Dasein ist anders aufgefächert. F. J. Cox war (und ist, denn man bleibt dies für immer) ein Magier, ein Zauberkünstler, der dann ein Bildhauer und Maler geworden ist; ein kreativer Freigeist, der nach freiem Willen arbeitet, man kann also sagen: Künstler mit Leib und Seele. 18 Jahre lebte er in seinem Haus mit einem Tiger, der von ihm und seinem Collie erzogen worden war; das Haus hatte Cox eigenhändig Stein für Stein, Balken für Balken, aus der Elbtalaue zwischen Lauenburg und Bleckede abgetragen und in Heiligenthal wieder aufgebaut. Im einstigen Rauchhaus wirkt inspirierende Kraft, die Artefakte eines außergewöhnlichen Lebens voller Stilismus und performativen Ausdrucks der Poesie entfalten sich hier, während im Garten im nassen Blass des gerade vom Frost befreiten Rasens ein Reh nach Futter sucht. Selbst, als es unsere Aufmerksamkeit spürt, flieht es nicht. Manchmal seien fünf Rehe da, jetzt im Winter, manchmal stupse eines mit der Schnauze an die Fensterscheibe. Cox und Annabelle haben Heu besorgt.

Es gibt ein Foto, auf dem Cox im Haus, genau hier, über diesem Tisch, eine Frau schweben lässt. Auf die Frage, welche Installation, was für Aufbauten man für diese Illusion benötige, sagt er: „Keine.“ An anderer Stelle spricht er über eine andere Disziplin: „Die Manipulation ist die schwerste Handarbeit“. Cox, der als zweimaliger Weltmeister der Magie auf den illustren Bühnen der Welt vor Millionen von Zuschauern auftrat, mitunter mit einem Tross von vierzig Mitarbeitern und Ballett. Die Fotos dieser Zeit nehmen uns mit in die Erinnerungswelten lang vergangener Samstagabende vor dem Fernseher, wir sehen Cox, der Show-, Sport- und Entertainment-Größen verschwinden lässt. Cox, der eine bunte Welt entwirft, in der die Gesetze unserer Wirklichkeit nur Thesen sind, die es zu unterlaufen gilt, Cox, der das Einfordern vernünftiger Erklärungen für sein Schaffen mit einer Inszenierung beantwortet, die alle technischen Fragen und Erklärungswünsche wie die Spur eines Skarabäus im Sande zu Füßen der Sphinx verlaufen lässt. Um die Schönheit der Kunst zu erfassen, braucht es kein aktives Wissen um Versmaß und Tintenart, sondern ein Gefühl zu dem, was abgebildet wird. Der Surrealismus ist die kürzeste Distanz zwischen der Magie und der Kunst. So transformiert seine „Magie unterm Regenbogen“ diese Himmelserscheinung zum Sinnbild dessen, was Cox für uns sichtbar macht: der nicht (be)greifbare Wechsel der Wirklichkeit in einen anderen Aggregatzustand — eine Sinnestäuschung sagen die einen, ein Schauspiel, die anderen. Was es ist, liegt ganz im Auge des Betrachters. So war es immer, mit der Kunst und auch dem Zauber (und) der Natur, die im Regenbogen ihr ganzes Spektrum an Möglichkeiten für einen Moment manifestiert — ein Faszinosum, in dem wir mehr sehen, als eigentlich da sein sollte. Und aus irgendeinem Grund erfüllt uns dies mit tiefer, zeitloser Zufriedenheit und Freude. Doch diese Freude währt nicht ewig. Und so wie jeder Regenbogen gleichfalls ein Beweis für die trügerische Flüchtigkeit des besonderen Moments ist, vermag auch der beste Magier den Tod nicht aufzuhalten. Einmal schon hatte Cox sich vom Tod abgewandt, nachdem dieser von seiner Seele Besitz ergriffen hatte. Eine frühe Existenz als Leiter einer Mordkommission ließ er aus gesundheitlichen Gründen hinter sich. Dafür konzentrierte er sich auf sein Dasein als Zauberkünstler, der unsere Träume und Fantasien (scheinbar?) Wirklichkeit werden ließ, um so Weltruhm zu erlangen. Aus der nackten Realität in ein traumhaftes, kühn gebettetes Leben, fürwahr — eines, dass ihn und seine Ehefrau Annelies, die gleichsam als Produzentin seine großen Shows fungierte, um die ganze Welt führte — bis diese auf der Bühne eine Hirnblutung erlitt. Es folgten 14 Jahre Koma, an dessen Ende ihr Tod, der finanzielle und mentale Ruin und die Einsamkeit für Cox standen. Eine

Dunkelheit, aus der er in letzter Sekunde durch die Kunst und Bildhauerei gerettet wurde. Zu seiner Frau und Muse wurde Annabelle, und auch heute noch widmet und schenkt er jedes Bild, jede Skulptur ihr und immer nur ihr. Sie leben den Großteil des Jahres im Süden, frei schaffend bei Freunden. Die Magie und die Kunst hat er erneut zusammengeführt in seinem „Magischen Theater der Kunst“, in dem er die Rollen von Malern wie Magritte, Dali, Bosch und deren Motiven einnimmt und die Magie der Bilder zum Leben erweckt. Cox sagt (und er sagte dies schon immer): „Was bleibt, sind die Träume, die wir spinnen, die Sehnsüchte, die wir haben und die Erinnerung, die wir mit uns nehmen.“ Das ist, ehrlich gesagt, am Ende eines Tages weit mehr als die meisten von uns zu hoffen wagen. Dies aber können wir lernen, aus der (Magie der) Kunst, der Schöpferkraft des Willens und den Blicken, die wir manchmal über den Tellerrand unseres Selbstverständnisses hinaus erhaschen können. Wer sich diese Illusionen nehmen lässt, verwirkt auch sein irdisches Glück, ein Leben in Einklang mit dem, was war, ist und sein könnte — für einen Moment oder für immer. Ob „wirklich“ oder nicht, spielt letztendlich keine Rolle, nicht, wenn dieser eine Funken Hoffnung dich entflammt — weil diese Hoffnung dann nicht mehr illusorisch ist, sondern ein Quantum Wahrhaftigkeit für sich erobert hat. Die einen sprechen von Fantasie, wir nennen es Erfüllung der eigenen Träume. Vorhang.